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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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hindurchschieben könnte. Durch den Treppenschacht hinter mir gelangt nur wenig Mondlicht in die Pyramide hinein. Doch selbst dieser schwache Widerschein genügt, um in dem Hohlraum hinter dem Mauerloch alles zum Funkeln zu bringen.
    Mit bebenden Fingern ziehe ich einen der dünnen Kienscheite aus meinem Gewand, die ich stets bei mir trage. Ich streiche ihn an und leuchte damit in das Wandloch hinein.
    Das Herz setzt mir für einen halben Schlag aus. Ich reiße meine Augen auf und beiße mir auf die Unterlippe, um ganz sicherzugehen, dass ich nicht doch nur träume. Aber das Beißen tut so weh, wie mir das noch in keinem Traum passiert ist.
    Durch das Mauerloch starren mich Dutzende goldener Masken an. Auch Goldscheiben so groß wie Wagenräder sehe ich nun, Vasen und Schalen, die mit Blattgold verkleidet oder sogar aus massivem Gold geschmiedet sind! Daneben Schnürsandalen aus Gold, goldene Arm- und Halsreifen und Unmengen kleiner Goldklumpen. Sie sind wie Tränen geformt, und da fällt mir ein, wie der Gefiederte das Gold genannt hat: »die Tränen des Sonnengottes«.
    Aber ich will das nicht!, denke ich wieder. Heilige Muttergottes, ich habe dich doch wieder und wieder angefleht: Lass uns kein Gold finden, zumindest nicht so bald!
    Während ich noch in das Mauerloch hineinstarre und Dutzende Goldmasken zu mir zurückstarren, höre ich in der Ferne meinen Namen rufen.
    »Orteguilla! Wo bist du, mein Retter? So antworte doch! Wir brechen auf!«
    Ich lösche den Kienspan, wende mich um und stolpere die Treppe wieder hinab. Draußen klopfe und wische ich mir die Schimmelflechten von den Ärmeln und schüttele mir Staub undSpinnweb aus meinen Haaren. Ich eile um die Pyramide herum und zurück auf den Pfad.
    Von Carapitzli ist nichts mehr zu sehen, aber darüber bin ich in diesem Moment beinahe froh.
    »Orteguilla de Villafuerte!«, ruft der würdevolle Cristóbal de Tapia, und ich renne, so schnell ich kann, durch den verwilderten Park und in den schmalen Durchgang zwischen den Häusern. Eben als ich mich in die Mauernische presse, taucht Tapia am vorderen Ende des Durchgangs auf.
    »Orteguilla?«, ruft er und ich löse mich aus dem Dunkel der Nische und gehe ihm entgegen. »Ich wollte mich hier noch einmal umsehen«, sage ich in unbekümmertem Tonfall. »Schließlich war es mein erster Kampf mit einem Indianer.«
    »Ich wusste, dass ich dich hier antreffen würde«, gibt Tapia zurück. Er legt mir seine Hände auf die Schultern und sieht mich feierlich an. »Jetzt aber schnell, mein Retter«, sagt er, »alle sind schon zum Abmarsch bereit.«
    Erst als ich neben Tapia zum Tempelplatz zurückeile, wird mir bewusst, dass über der Indianerstadt schon wieder der Morgen dämmert.
    Aber wie kann das sein? War es nicht dunkle Nacht, als ich dort draußen mit Carapitzli zusammentraf? Wie lange war ich in der Pyramide? Oder habe ich mir doch alles nur eingebildet – die Begegnung mit dem Mädchen, die goldenen Masken und »Tränen des Sonnengottes« in jenem Gelass?
    Ich taste nach dem Verband auf meinem Hinterkopf. Tapia schaut mich von der Seite mitfühlend und ein wenig schuldbewusst an.
    Wundarzt Jeminez hat mich gewarnt, sage ich mir – ein solcher Schlag auf den Kopf kann dazu führen, dass man noch Tage oder Wochen später zwischen Wirklichkeit und Traumgespinst nur mühsam unterscheiden kann.
    Verstohlen taste ich nach dem Kienscheit in meinem Gewand.Seine Spitze fühlt sich rußig an und so heiß, dass ich mir fast die Finger daran verbrenne.
    Aber was beweist das?, frage ich mich, während ich mich neben Tapia in die Kolonne auf dem Tempelplatz einreihe. Habe ich hinter jenem Mauerloch wirklich den Goldschatz von Potonchan funkeln sehen – oder glaubte ich nur zu erblicken, was ich nach der Prophezeiung unseres Herrn dort vorfinden würde, »zu meinen Füßen aufgehäuft«?
    Tief in Grübeleien versunken, marschiere ich mit den anderen zum Rio Grijalva hinaus. Nicht einmal Carapitzli kann ich zwischen den anderen Sklavinnen entdecken, die mit einem der großen Karavellen-Beiboote zur Küste gefahren werden. Und in meiner Verwirrung kommt es mir vor, als ob auch sie nur eine Erscheinung aus meinen Fieberträumen wäre.

VIERTES KAPITEL
Ein Gewand aus roten Vogelfedern
- 1 -
    Die Zauberer tragen zottige graue Haare und knöchellange Gewänder, gleichfalls grau wie Spinnweb. Sie sind hager und hohlwangig und ihre Augen haben einen düsteren Glanz. Es sind sechs oder sieben, aber vielleicht auch noch ein paar mehr.

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