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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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Mauernische stehe. Sie ist leer, natürlich ist sie leer! Ich taste sogar auf der Hauswand herum, die hier aus irgendeinem Grund diese Einbuchtung aufweist. Vielleicht hat in der Nische früher einmal eine Götterfigur oder so etwas gestanden, sage ich mir und gehe schon weiter, den schmalen Gang entlang.
    Als jener Krieger hinter mir her war, dachte ich, dass es am anderen Ende des Gangs eine weitere Straße oder einen kleinen Platzgeben müsste, von Häusern gesäumt. Doch als ich zwischen den Häusern hervortrete, finde ich mich am Rand eines verwilderten kleinen Parks. In Schlangenlinien führt ein Pfad zwischen Wiesen und Büschen hindurch. Am anderen Ende des Parks, hinter hoch aufragenden Bäumen, erkenne ich eingestürzte Türme und Pyramiden – eine Ruinenstadt, geht es mir durch den Kopf, wie beim zweiten Teufelstempel im Wald hinter Puerto Deseado.
    Zuerst kann ich mich nicht entscheiden, ob ich weitergehen oder zum Tempelplatz zurückkehren soll. Vielleicht schleichen dort bei den Ruinen ja Raubkatzen oder rachegierige Indianer herum, sage ich mir. Doch dann bemerke ich die schmale Gestalt da drüben zwischen den Bäumen – mit ihrem unförmigen, knöchellangen Gewand, dem schimmernd schwarzen Haar, das ihren Kopf wie ein Helm umschmiegt, und mit diesen unglaublich großen, dunklen Augen, die beschwörend zu mir herüberstarren …
    Meine Augen können eigentlich gar nicht feststellen, sage ich mir, ob sie es wirklich ist. Dafür ist es viel zu dunkel, auch wenn der Mond vom wolkenlosen Himmel scheint. Außerdem habe ich sie ja bisher noch kein einziges Mal aus der Nähe gesehen – eigentlich kann ich also gar nicht wissen, wie sie aussieht. Aber mein Herz weiß es trotzdem, mein Herz, das nun so heftig in meiner Brust hämmert, dass es bis dort drüben zu hören sein muss. Ich renne jetzt beinahe den Pfad entlang, auf die Bäume zu, das Mädchen, die Ruinenstadt im Wald.
    Als ich endlich bei ihr bin, schaut sie mich ernst, beinahe finster an. Sie ist kaum kleiner als ich und sie riecht wie eine ganze Wiese voller Wildblumen. Nun fasst sie mich bei der Hand, dreht sich um und zieht mich hinter sich her, zwischen Bäumen und Ruinen tiefer in den Wald. Schließlich bleibt sie stehen und deutet auf eine Pyramide, die fast vollständig mit Erde bedeckt, mit Gras und Buschwerk überwuchert ist. Sogar etliche Bäume wachsen schief aus den Wänden und oben aus dem First des Bauwerks hervor.
    Das Mädchen macht eine schlängelnde Handbewegung, und ich verstehe, was sie mir sagen will: Ich soll um die Ruine herumgehen, zu ihrer Rückseite. Mit einer Geste fordere ich sie auf, mir voranzugehen und mir den Weg zu zeigen, aber sie schüttelt nur leicht den Kopf.
    Zum ersten Mal sehe ich sie lächeln. Ihre Zähne blitzen hinter den Lippen auf und ganz kurz bekomme ich auch die Spitze ihrer Zunge zu sehen. Mein Herz klopft so schnell und hart, dass es wehtut.
    »Carapitzli«, flüstert sie und deutet mit dem Finger auf ihre Brust. Sie zeigt auf mich und macht ein fragendes Gesicht.
    »Orteguilla«, flüstere ich. »Orte!«, schiebe ich hinterher und grinse jetzt mindestens so blöde verliebt, wie Diego das vorhin von mir behauptet hat.
    Sie berührt mich mit einer Hand ganz leicht am Oberarm. Mit der anderen deutet sie erneut zu der überwucherten Pyramide.
    Widerstrebend gehe ich in die gewiesene Richtung. Ich habe Angst, dass Carapitzli nicht mehr da sein wird, wenn ich von dieser Erkundung zurückkomme. Aber mir ist auch klar, dass ich hier nicht einfach wieder weggehen kann, ohne mir zumindest anzuschauen, was sich dort in der Rückseite der Pyramide befindet. Dabei weiß ich es eigentlich schon – doch mir kommt es vor, als ob mein Verrat nur noch größer und unverzeihlicher würde, wenn ich mich nicht wenigstens davon überzeugen würde, dass der Goldschatz von Potonchan wirklich dort versteckt ist.
    Mein Verrat an Cortés.
    Ich umrunde die Pyramide und entdecke einen schmalen Einlass im Sockel. Dahinter windet sich eine Treppe ins Innere des Baus. Sie sieht glitschig aus, und es gluckst vor Feuchtigkeit, als ich auf die erste Stufe trete. Ich stolpere die kleine Treppe hinauf, die vor einer Mauer endet. Einige Augenblicke lang taste ich an der mit Moos bedeckten Wand herum. Und dann vergesse ich weiterzuatmen.
    Mitten in der Mauer, ziemlich genau in Höhe meines Kopfes, befindet sich ein kreisrundes Loch. Ich betaste seine Umrisse – wahrscheinlich ist es gerade groß genug, dass ich meinen Kopf

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