Goldfieber
Man kann sie nicht auseinanderhalten, und während sie sich in unserem Lager aufhielten, liefen sie unablässig umher, jeder für sich, mal murmelnd, dann wieder schreiend. Sogar Diego hat zugegeben, dass ihm die Zauberer unheimlich sind.
Jetzt ist es tiefe Nacht – die Nacht nach Ostermontag – und die Zauberer haben unser Lager wieder verlassen. Bei Sonnenuntergang war der Himmel noch wolkenlos klar, doch kaum war die Dunkelheit hereingebrochen, da erhob sich der Sturm, der seither um unser Lager heult. Seit Stunden, seit einer Ewigkeit. Tiere fauchen und winseln, Nachtvögel schreien. Grausiger als alles andere aber sind die Seufzer und das Stöhnen, wie aus Dutzenden Kehlen, da draußen in der Nacht.
»Ihr Oberhäuptling Montezuma muss die Zauberer hergeschickt haben – damit wir abhauen!«, ruft mir Diego zu. »Hast du gehört, was Fray Bartolomé vorhin gesagt hat?«
Ich schüttele den Kopf, doch das kann Diego im Dunkeln nicht sehen. »Nein, habe ich nicht!«, schreie ich gegen das Heulen und Stöhnen an.
Carapitzli und ihre Freundin Malinali, geht es mir durch den Kopf, liegen jetzt bestimmt genauso nebeneinander in ihren Hängematten wie Diego und ich. Ihre Hütte ist nur ein paar Dutzend Schritte von uns entfernt – und was würde ich darum geben, wenn ich in dieser Nacht mit Carapitzli eine Hütte teilen könnte! Aber das geht leider überhaupt nicht – auch wenn mir Cortés das Indianermädchen als meine persönliche »Sklavin« zugewiesen hat. Oder gerade deshalb.
»Auf der ganzen Welt«, sagt Diego, »kann es kein zweites Volk geben, das dem Satan so sehr verfallen ist wie die Indianer in diesem gottverlassenen Land!« Seine Stimme klingt schrill und zittrig. »So hat es der Pater ausgedrückt«, fährt er fort, »und da konnte er noch nicht einmal wissen, was ihre Zauberer in dieser Nacht anrichten würden!«
Heulend streicht der Wind um unsere Rundhütte. Er rüttelt an den Wänden, dass die nebeneinander in die Erde gepflockten Äste ächzen. Und dazu ertönt unaufhörlich, grässlicher als alles andere, dieses Seufzen und Wimmern und Stöhnen – als hätten die Zauberer alle Toten aus den Gräbern aufgescheucht und in unser Lager geschickt, um uns zu Tode zu ängstigen.
»Versuchen wir zu schlafen«, sage ich zu Diego. »Morgen früh ist der Spuk bestimmt wieder vorbei. Gute Nacht!«
Am Knarren seiner Hängematte höre ich, wie er sich auf die Seite dreht. Kurz darauf seufzt und murmelt er schon im Traum.
Ich beneide ihn um seinen unbekümmerten Schlaf, aber nur ein wenig. Seit ein paar Tagen gehe ich vor dem Einschlafen immer erst noch die wichtigsten Ereignisse durch, über die ich am nächsten Morgen Bericht erstatten werde. Kaum waren wir nämlich an der Küste vor Potonchan wieder in See gestochen, da rief mich unser Herr zu sich und befahl mir, ihm fortan wenigstens einmal pro Woche einen schriftlichen Bericht zu übergeben. Darin soll ich alles aufführen, was mir bemerkenswert erscheint.
Dieser Auftrag schmeichelt mir sehr, doch beinahe noch mehr beunruhigt er mich. Cortés glaubt wirklich, dass ich die Gabe besitze, die Herzen zu ergründen. Aber ich fühle, dass er mich nicht nur deshalb beauftragt hat, ihm regelmäßig Bericht zu erstatten.
Unser Herr ahnt, dass ich ihn in Potonchan verraten habe. Darüber kann ich niemals nachdenken, ohne dass mir ganz elend zumute wird vor Gewissensbissen und Angst. Cortés spürt, dass ich ihn zum Goldschatz von Potonchan hätte führen können. Und wahrscheinlich ahnt er sogar, dass jener »Schlüssel zum Goldschatz« niemand anderes als Carapitzli ist.
Warum sonst hätte er sie gerade mir als »persönliche Sklavin« zugewiesen – und nicht einem seiner Konquistadoren? Aus Zartgefühl gegenüber dem Mädchen hat er gewiss nicht so gehandelt – hinter jeder seiner Taten steckt ein genau berechneter Plan. Und was Carapitzli und mein neues Amt als Chronist der Ereignisse angeht, so spüre ich nur allzu klar, wie dieser Plan aussieht: Wenn Cortés meine Berichte liest und wenn sein Blick, wie so oft in den letzten Tagen, auf Carapitzli und mir ruht, so will er auf diesen Wegen zugleich mein Herz ergründen – meinen Verrat und die mysteriöse Rolle, die das Indianermädchen dabei spielt.
Carapitzli – oder Carlita, wie ich sie still für mich nenne. Ich schließe die Augen und sehe sie sogleich wieder vor mir. Ihre schlanke Gestalt, ihre dunklen, großen Augen. Ihr stilles, stets ein wenig schwermütig wirkendes Lächeln, das so
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