Goldfieber
spüre, dass Xochiquetal, die Göttin der Liebe, ein solches Fadenende ist. Wenn ich behutsam daran ziehe, werde ich Carapitzlis Geheimnis daran aufgefädelt finden.
- 6 -
Diese Nacht verbringen wir in einem Waldstück am Fluss, als Sturmbezwingers Gäste. Nachdem der Totonaken-Häuptling unseren Herrn ehrfürchtig begrüßt hatte, sandte er seine Kriegeraus, um uns ein bequemes Lager zu bereiten. Schon nach kurzer Zeit kehrten sie mit unzähligen Körben voll köstlich duftender Nahrungsmittel zurück. Außerdem brachten sie Unmengen an Hängematten mit, und während wir uns ausgehungert über Truthahnfleisch und Tortillas hermachen, hängen sie die bunt gemusterten Flechtmatten für uns zwischen den Bäumen auf.
Sandoval hat einige Wachen rund um unser Lager postiert, aber das ist eigentlich nicht nötig. Das hier ist Sturmbezwingers Land, und er würde niemals dulden, dass einem von uns auch nur ein Haar gekrümmt wird.
Wir sitzen im Kreis um eines der Lagerfeuer, die die Totonaken für uns aufgeschichtet und angezündet haben – Sturmbezwinger und zwei würdevoll dreinblickende Krieger, Cortés und seine drei Vertrauten, außerdem Marina und Aguilar, Carlita und ich. Das Bildnis der Göttin Xochiquetal steht neben unserem Herrn auf einem Baumstumpf und er lässt es nicht einen Moment lang aus dem Blick. Ganz gleich, ob er isst oder trinkt, mit Sturmbezwinger spricht oder gedankenvoll schweigt – seine Augen kleben geradezu an der goldenen Skulptur. Und sie glitzern wie bei hochgradigem Fieber.
»Xochiquetal war in früheren Zeiten eine mächtige Göttin«, erklärt Sturmbezwinger. »Gleichberechtigt standen ihre Tempel neben den Heiligtümern, in denen wir den gütigen Quetzalcoatl, ihren Bruder, verehrten. Doch die Azteken haben Xochiquetal mehr und mehr an den Rand gedrängt. Sie verbieten uns nicht geradezu, die sanfte Göttin anzubeten, aber sie verhöhnen sie als Gottheit der Schwachen und Kranken, der Kinder und Weiber. Je grausamer und blutdürstiger eine Gottheit ist, desto inbrünstiger wird sie in Tenochtitlan verehrt. So ist das nun einmal«, schließt Sturmbezwinger mit einem bekümmerten Lächeln, »und solange Montezuma von der Wüste bis zur Küste über alle Völker herrscht, wird sich daran auch nichts ändern.«
Marina übersetzt seine Worte direkt in unsere Sprache, ohneUmweg über Aguilar. Der einstige Minoritenmönch wird offenbar nicht länger als Dolmetscher gebraucht, und sein angespanntes Gesicht verrät mir, dass ihn diese Entwicklung beunruhigt.
Cortés nickt gedankenversunken und behält die goldene Göttin im Blick. »Was wird ihr geopfert?«, fragt er. »Wirklich kein Menschenblut und keine Menschenherzen?«
Sturmbezwinger schüttelt so heftig den Kopf, dass sein Federschmuck auf und nieder weht. »Nicht einmal ein Huhn oder ein kleiner Hund!«, beteuert er. Ein fast kindliches Lächeln huscht über sein Gesicht. »Bei den Opferzeremonien verbrennen die Xochiquetal-Priesterinnen lediglich Blumen – und zwar hauptsächlich …«
Marina gerät ins Stocken. Um den Namen dieser speziellen Opfergabe ins Spanische zu übersetzen, braucht sie doch wieder den Beistand des Tätowierten. Eine ganze Weile lang beratschlagen sie auf Chontal und währenddessen hält Marina das goldene Kreuz an ihrer Halskette mit der linken Hand umklammert. Schließlich haben sie sich auf das gesuchte Wort geeinigt, und beide sagen fast gleichzeitig auf Spanisch: »Ringelblumen.«
Portocarrero bricht in donnerndes Gelächter aus. »Diese verschissenen Wilden!«, schreit er. »Warum geben sie ihrer Teufelsgötzin nicht gleich Gras zu fressen – wie einem Pferd ?«
Sturmbezwinger wirft dem »Dröhnenden« über das Feuer hinweg einen befremdeten Blick zu. Auch wenn ihm niemand Portocarreros Worte übersetzt, hat er ihren Sinn offenbar erfasst. »Ihr verehrt ja die gleiche Göttin«, sagt er leise. »Ihr nennt sie nur anders – Madonna Maria. Auch eure Priester verbrennen während der Zeremonie Weihrauch. Nur opfern sie der Göttin Palmzweige anstelle von Ringelblumen – so jedenfalls wurde es uns von den Maya aus Potonchan erzählt. Auch die Maya-Völker verehren die Göttin der Liebe, nur heißt sie bei ihnen nicht Maria oder Xochiquetal, sondern Ixchel – ›Frau Regenbogen‹«, übersetzt Marina, diesmal wieder ohne den Tätowierten. »Drei Namen,eine Göttin«, fügt der Totonaken-Häuptling hinzu, »gebt Ihr mir recht, Herr?«
Cortés starrt die Göttin an. Mittlerweile ist die Nacht
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