Goldfieber
so wenigen Tagen! Während ich noch überlegte, was ich ihr antworten sollte, schlang Carlita ihre Arme um meinen Hals und küsste mich so leidenschaftlich wie noch nie.
Ich war nun noch mehr durcheinander, weil sie ja gesagt hatte, dass sie wegen der Madonna so glücklich sei – und nicht wegen mir! Auch dass sie die heilige Mutter Maria »Göttin der Liebe« nannte, kam mir nicht ganz geheuer vor. Aber je länger und zärtlicher sie mich küsste, desto mehr zerschmolzen meine Bedenken. Bald schon konnte ich an nichts anderes mehr denken als daran, wie es sich anfühlen würde, wenn Carlita und ich uns einmal umarmten, ohne dass unsere Körper von irgendwelchen Kleidungsstücken umhüllt wären. Ich hatte ihre kleine Hand schon einmal auf meinem Herzen gefühlt, und es drängte mich, ihr gleichsam einen Gegenbesuch abzustatten.
Aber schon bei diesem Kuss, den wir in der Pagenkajüte unter Deck der Santa Maria tauschten, hätten wir leicht ertappt werden können. Draußen im Gang stampften die Seeleute und Zimmerleute hin und her. So winzig Diegos und meine Kammer ist, dient sie doch gleichzeitig als Lagerraum für schadhafte Spanten und Planken. Schon mehr als einmal ist es geschehen, dass ein Zimmermann oder ein Schiffsjunge frühmorgens zu uns hereingepoltert kam und in den Bretterstapeln herumkramte, während Diego und ich uns schlaftrunken die Augen rieben. Wenn stattdessen Carlita und ich auf meinem Kajütbett lägen, unbekleidet und engumschlungen, und gerade in diesem Moment ein Matrose hereingestampft käme – nein, das will ich mir lieber gar nicht vorstellen.
Doch meine Gedanken irren wieder und wieder zu dieser Szene zurück, während Carlita und ich Seite an Seite in der Kolonne der Konquistadoren marschieren. Wir liegen auf meinem Bett, wir küssen einander und ich erkunde ihren Körper mit meinen Händen und meinem Mund … Wenn es mir nur gelingen würde, meinen Tagtraum an dieser Stelle anzuhalten und sozusagen auf der Stelle traben zu lassen! Aber sooft ich es auch versuche, ich schaffe es kein einziges Mal. Immer wieder lasse ich mich von den erhitzenden Wunschbildern mitreißen, weiter und weiter – bis abermals ein Matrose oder Zimmerer hereingepoltert kommt! Er lacht schallend auf und ruft seine Kameraden herbei. »Schaut nur, der kleine Orteguilla! Tja, so eine Indianerbraut kann nicht Nein sagen, was?« Mir wird dann jedes Mal noch heißer als sowieso schon – doch diesmal vor Verlegenheit. Nicht, weil sie mich mit meinem Mädchen erwischt haben, sondern weil es ja stimmt, womit sie mich in meinem Tagtraum verspotten: Carlita ist meine Sklavin – und dadurch gerät alles in ein schiefes Licht.
Ich muss Cortés dazu bringen, dass er sie freilässt!, sage ich mir. Aber welche Begründung könnte ich für diesen sonderbaren Wunsch anführen? Gewiss sind wir hauptsächlich deshalb hierhergekommen, um den Indianern unseren Glauben zu bringen – doch als Preis dafür nehmen wir ihnen ihr Gold und ihre Freiheit weg.
An diesem Gedanken würge ich herum, er macht mir Unbehagen und Angst. Ich spüre schon, wie er sich tief und immer tiefer in mich hineinbohrt. Aber es stimmt ja gar nicht, wende ich im Stillen ein, dass wir den Indianern alles wegnehmen – zumindest bei der Freiheit stimmt es nicht! Die zwanzig Mädchen und Frauen, die der Herrscher von Potonchan uns »geschenkt« hat, waren ja vorher schon seine Sklaven! Bisher haben wir keinen einzigen Maya-Indianer und ebenso wenig einen Totonaken versklavt – doch je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wirdmir, dass sich das wohl bald schon ändern wird. Die Indianer auf Kuba und Hispaniola fristen ein elendes Sklavendasein. Sie müssen auf den Landgütern, in den Gold- und Silberminen ihrer spanischen Herren bis zur totalen Erschöpfung arbeiten – und wenn sie tot umfallen, fordert der Landbesitzer bei Gouverneur Velazquez einfach neue Arbeitssklaven an.
Will unser Herr also auch die hiesigen Indianer versklaven?, grübele ich und meine Stimmung wird immer düsterer. Nein, ganz bestimmt nicht!, antworte ich mir und glaube mir selbst kein Wort. Das Hüttendorf über der Bucht haben Teudiles Diener für uns gebaut, weil der Tributeintreiber hoffte, uns auf diese Weise von Tenochtitlan fernzuhalten. Aber Montezuma wird uns gewiss nicht noch einmal zweitausend Diener zur Verfügung stellen – und um eine ganze Stadt aus Holz und Stein zu errichten, brauchen wir doch bestimmt noch ein paar Tausend Arbeiter mehr.
Aber vielleicht
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