Goldfieber
sich tief geehrt fühlen, Herr«, versichert Sturmbezwinger, »wenn er Euch und Euer Gefolge in einem seiner Paläste beherbergen darf. Cempoallan liegt nur wenige Meilen abseits Eures Weges. Meine zuverlässigsten Krieger werden Euch bis vor die Palasttür geleiten.«
Während der Nacht waren wir in unseren Hängematten mehrfach bis auf die Haut durchnässt worden. So hat wohl niemand von uns etwas dagegen, die nächste Nacht in einer trockenen Unterkunft zu verbringen. Zumal an dem Ort, wo unsere Stadt entstehen soll, gegenwärtig noch keine zwei Steine aufeinanderstehen. Und was Cortés selbst angeht – er hat es bestimmt nicht allzu eilig, Montejo und die anderen Velazquez-Getreuen wiederzusehen. Auch wenn er es vor drei Tagen in bewundernswerter Weise geschafft hat, seine erbittertsten Widersacher ruhigzustellen.
Als Morla und Montejo von ihrer Erkundungsfahrt eintrafen und erfuhren, dass sich die Expedition in eine Stadt verwandelt hatte, die nie mehr nach Kuba zurückkehren könnte – da war Montejo so außer sich vor Zorn, dass er eine ganze Stunde lang kein Wort herausbrachte. Oder vielleicht war er auch klug genug, sich eine solche Schweigefrist aufzuerlegen, bis er halbwegsdie Kontrolle über sich selbst zurückgewonnen hatte. Velazquez’ Neffe Morla kam mir nicht weniger erbittert vor, aber er ist nicht halb so wagemutig wie Kapitän Montejo.
Unser Herr jedenfalls wartete ab, bis sich die beiden einigermaßen beruhigt hatten, dann nahm er sie beiseite und machte ihnen ein Angebot. »Zweitausend Pesos für jeden von euch«, sagte er, »zusätzlich zu eurem Anteil an dem Gold, das wir bereits erhandelt haben und noch in unseren Besitz bringen werden.« Er legte jedem der beiden Franciscos eine Hand auf die Schulter. »Ohnehin wurdet ihr in Abwesenheit zu Ratsherren der Stadt Vera Cruz gewählt«, fügte er mit einem kaum sichtbaren Lächeln hinzu. »Also geht jetzt zu Bürgermeister Portocarrero und leistet ihm vor den Augen eurer Männer den Treueid.« Die beiden gehorchten, halb bestochen und halb eingeschüchtert – aber höchstwahrscheinlich werden sie die nächste Gelegenheit ergreifen, um die Männer aufs Neue gegen Cortés aufzuwiegeln.
Beim ersten Tageslicht marschieren wir jedenfalls weiter, geleitet von drei schweigsamen Totonaken-Kriegern. Unser Zug bewegt sich gemächlich auf dem Dammweg entlang. Ich lasse mich mit Carlita fast bis zum Ende der lang gezogenen Kolonne zurückfallen. Hier kann uns niemand belauschen – von unseren Hintermännern trennen uns ebenso wie von den Vorderleuten wenigstens zehn Schritte.
»Carlita«, sage ich leise. »Erzähle mir von eurer Göttin der Liebe.«
Sie errötet wie jemand, der bei seinen verstohlensten Gedanken ertappt worden ist. »Xochiquetal ist gütig und sanft«, antwortet sie mir sichtlich widerstrebend. »Mädchen ihr bringen Opfer, damit der junge Mann, in den sie verliebt sind, ihre Liebe erwidert. Junge Frauen flehen Xochiquetal um Hilfe an, wenn sie nicht schwanger werden können.« Sie schüttelt unwillig den Kopf. »Alles Aberglaube, sagt Fray Bartolomé – also lass uns von etwas anderem reden!«
Sie lächelt mich so verführerisch an, dass ich Mühe habe, mich auf die Frage zu konzentrieren, die ich ihr aber unbedingt noch stellen will. »Sturmbezwinger hat ja erzählt«, sage ich, »dass Xochiquetal von den Totonaken und anderen Völkern früher als mächtige Göttin verehrt wurde, genauso wie ihr Bruder Quetzalcoatl. Aber worin bestand denn eigentlich ihre Macht, Carlita – und was sind das für Götter, die seitdem an ihrer Stelle angebetet werden?«
Carlita starrt mich mit weit aufgerissenen Augen an. Ihr Gesicht ist mit einem Mal aschgrau. Offenbar hat meine Frage sie fast zu Tode erschreckt – aber aus welchem Grund nur?
Ihre Lippen sind so fest aufeinandergepresst, als fürchte sie, dass ihr gegen ihren Willen doch noch eine Antwort entschlüpfen könnte. Mit stummer Heftigkeit schüttelt sie nur wieder und wieder den Kopf, bis ich ihre Hand ergreife und sie beruhigend anlächle.
»Du hast recht, Carlita«, sage ich, »lass uns von etwas anderem reden.«
Doch während der folgenden Stunden bleiben wir beide wortkarg. Meile um Meile marschieren wir bei brütender Hitze auf dem Dammweg entlang. Ganz genau die gleiche Angst, überlege ich währenddessen, habe ich schon einmal bei Carlita gesehen – in jener Nacht, als sie bei Blitz, Donner und Sturzregen im Hüttendorf herumirrte und drauf und dran war, eine dieser
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