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Goldfieber

Goldfieber

Titel: Goldfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Gößling
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grässlichen Dämonenfiguren aus dem Boden hervorzuscharren. »Genauso ihre Schwestern und Gefährtinnen getötet!«, hatte sie laut Malinali damals wie in Trance offenbart. In den Tagen nach jener schauderhaften Zaubernacht hat Marina noch mehrmals versucht, aus Carlita herauszubekommen, was es mit der magischen Ermordung ihrer Schwestern und Gefährtinnen auf sich hat. Doch Carlita schüttelte immer nur stumm den Kopf – ganz genauso wie eben, als ich sie nach der Götzin Xochiquetal fragte.
    Vielleicht ist das ja Carlitas Geheimnis, grüble ich vor mich hin: Womöglich gehörte sie zu einem geheimen Zirkel von Xochiquetal-Priesterinnen, die sich mit der Erniedrigung und Entmachtung ihrer Göttin nicht abfinden wollten – und die deshalb durch einen Dämonenzauber sterben sollten?
    Ich werfe ihr von der Seite einen Blick zu. Auch sie ist tief in Gedanken versunken, und ihr bekümmerter Gesichtsausdruck verrät mir, dass es keine heiteren Gedanken sind. Bestimmt erlebt sie in der Erinnerung aufs Neue die entsetzliche Nacht, in der ihre Nächsten und Liebsten jenem teuflischen Zauber zum Opfer fielen. Wann ist das passiert? Und an welchem Ort? Carlita muss damals fast noch ein Kind gewesen sein, dreizehn oder höchstens vierzehn Jahre alt. Und bestimmt hat sich das alles in Tenochtitlan abgespielt – laut Marina spricht Carlita das Nahuatl so, wie es in der Aztekenhauptstadt gesprochen wird, und zwar »in den höchsten Adelskreisen«.
    So viele Fragen brennen mir auf der Zunge, aber ich schlucke sie alle wieder herunter. Schon die eine Frage, die ich ihr gestellt habe, hat Carlita in Angst und Schrecken versetzt. Ich fühle mich schuldig, aber trotz allem muss ich weiter versuchen, ihr Geheimnis zu ergründen. Nicht nur deshalb, weil Cortés es mir befohlen hat, sondern mehr noch, weil ich glaube, dass es ihren Schmerz lindern wird, wenn sie mir das schreckliche Geheimnis am Grund ihres Herzens offenbart.
    Wenn ihre »Schwestern und Gefährtinnen« damals umgekommen sind, so grüble ich weiter vor mich hin – wieso hat gerade Carlita überlebt? Irgendjemand muss ihr bei der Flucht geholfen haben, doch wer auch immer es war – er konnte nicht verhindern, dass sie als Sklavin verkauft wurde und schließlich bei den Maya in Potonchan landete, Hunderte Meilen südlich ihrer Heimatstadt Tenochtitlan.

SECHSTES KAPITEL
Immer sollt ihr treu mir folgen
- 1 -
    König Pazinque empfängt uns höchstpersönlich vor seinem Stadttor. Anscheinend hat uns Sturmbezwinger einen Eilboten vorausgeschickt.
    Der Totonaken-Herrscher ist noch weitaus beleibter, als ich das nach Sturmbezwingers Andeutungen vermutet hatte. Er erwartet uns in seiner Sänfte, die dreimal so groß ist wie die Kapitänskajüte auf der Santa Maria und mit Gold, Silber und Edelsteinen verziert. In Unmengen von Polstern gelehnt und gebettet, schaut uns der König mit seinen winzigen Knopfaugen an. Ein Kuppeldach, außen mit Hirschhaut und innen mit Jaguarfell bespannt, wölbt sich über seinem mächtigen Rundschädel. In seinem golden und silbern durchwirkten Umhang und mit dem bunten Federschmuck auf dem Kopf sieht er wie ein exotischer Riesenvogel aus. Ein Gefolge von wenigstens dreißig Männern umringt seine Sänfte. Furchterregende bewaffnete Palastwächter, königliche Ratgeber mit hochmütigen Mienen, außerdem Sklaven mit Fächern, um dem Herrscher kühle Luft zu spenden, mit Krügen und Bechern sowie mit Schalen voller Naschereien.
    »Montezuma hat hier überall seine Spione«, erklärt Pazinque nach der langwierigen Begrüßungszeremonie. »Aber keiner von ihnen ließ sich blicken, als ich mich von meinem Palast hierhertragen ließ. Normalerweise lungern sie auf den Straßen herumund betragen sich mehr wie Besatzungssoldaten als wie heimliche Späher.« Er verstummt und ringt um Atem.
    Cortés und Alvarado tauschen Blicke. »Wir sind in friedlicher Absicht gekommen«, antwortet unser Herr. »Häuptling Sturmbezwinger hat uns von Eurem großzügigen Angebot unterrichtet, unsere Stadt auf Eurem Gebiet zu errichten. Dafür möchte ich Euch danken, König Pazinque, und Euch bitten, uns die Unterstützung zukommen zu lassen, die wir vor allem in der Anfangszeit brauchen werden.«
    Der Totonaken-Herrscher ringt noch immer um Atemluft. Wohl deshalb begnügt er sich mit einem huldvollen Nicken, nachdem Marina Cortés’ Worte übersetzt hat. Er macht eine gebieterische Handbewegung und die acht Träger heben die Sänfte an und tragen ihn zurück in die Stadt.

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