Goldfieber
Pagen das gesamte Erdgeschoss mit Beschlag belegt. Der Palast ist so geräumig, dass er Schlafgelegenheiten für alle unsere Männer bietet. Nur die kubanischen Sklaven müssen im Innenhof nächtigen, doch auch dort schützt ein Baldachin aus Pflanzenfasern die Schläfer vor Regengüssen.
Von den Zimmern im Erdgeschoss führen Türen hinaus in den Garten – wohl hauptsächlich deshalb hat sich Cortés für diese Gemächer entschieden. »Pedro, Alonso«, sagt er zu seinen beiden anderen Vertrauten, »ihr wisst, was ihr zu tun habt. Aber wartet das vereinbarte Zeichen ab!« Dann befiehlt er Sandoval, Marina und mir, Fackeln anzuzünden und ihm in den nachtdunklen Park hinaus zu folgen.
Dumpfes Gemurmel weist uns den Weg. Hinter einer Hecke verborgen steht ein Käfig aus armdicken Bambusrohren, in dem normalerweise vielleicht Affen oder andere große Tiere gehaltenwerden. Der Käfig erhebt sich über einer Grube mit senkrechten Wänden, die tief in die Erde hinunterführen. Selbst ein ausgewachsener Mann, der auf den Schultern eines zweiten stünde und seine Arme so weit als möglich nach oben streckte, könnte den Rand der Grube oder gar das Käfiggitter darüber nicht einmal mit den Fingerspitzen berühren.
Dort unten stehen wenigstens fünfzehn Indianer eng zusammengedrängt und blinzeln mit zurückgelegten Köpfen zu uns herauf. Die fünf Tributeintreiber sind unschwer an ihrem Federschmuck und den kostbaren Umhängen zu erkennen, auch wenn ihre Bekleidung reichlich zerdrückt und verschmutzt ist. In empörtem Tonfall beginnen sie, auf uns einzuschreien, offenbar ohne zu erkennen, wen sie da vor – oder, besser gesagt, über – sich haben.
»Ihr Elenden!«, schreien sie. »Wie könnt ihr es wagen, uns in diesen Affenkäfig zu sperren? Ihr werdet bei lebendigem Leib im Kohlebecken geröstet werden, bevor man euch das Herz aus der Brust reißt! Die Haut wird man euch vom Kopf und von der Brust abziehen! Der barmherzige Trunk, der das Schmerzempfinden lähmt, wird euch verwehrt werden! Für jede Schmach, die wir erdulden müssen, werdet ihr tausendfach leiden!«
Marina übersetzt ihr Gezeter, bis Cortés eine Hand hebt. »Frag sie, wer sie sind und wer sie in diesen Käfig gesperrt hat. Aber sag ihnen, sie sollen leise sein, sonst können wir nichts für sie tun.«
Nun erst scheint den Gefangenen klar zu werden, wen sie vor sich haben. Sie wechseln bestürzte Blicke, in ihren Gesichtern spiegelt sich ungläubiges Erstaunen.
»Wir sind Tributeintreiber aus Tenochtitlan«, sagt einer von ihnen mit folgsam gedämpfter Stimme. »Der Totonaken-Herrscher ließ uns ergreifen und in diesen Kerker werfen – niemals wurden die Gesetze der Götter und der Menschen ruchloser verletzt!«
»Wenn das so ist«, antwortet Cortés, »dann will ich euch sogleich befreien. Aber seid leise – und macht rasch!«
Er gibt Sandoval ein Zeichen und der »Tollkühne« öffnet den Käfig. Er löst ein Stück aus der Gitterwand heraus und schiebt es in die Grube hinab. Wie auf einer Leiter klettern zwei der federgeschmückten Tributeintreiber hinauf.
»Schneller!«, drängt Cortés. »Ich höre Schritte!« Er stößt einen Fluch aus – und mir wird klar, dass dies das Zeichen für Portocarrero und Alvarado sein muss.
Gerade als der dritte Tributeintreiber eine vergoldete Sandale auf das Gitter setzen will, nähern sich vom Innenhof des Palastes her tatsächlich laute Schritte.
»Zurück!«, ruft Sandoval. »Die Wächter kommen!«
Er reißt das Gitter in die Höhe und setzt es wieder in die Käfigwand ein. Die drei Tributeintreiber unten in der Grube stöhnen wie aus einer Kehle auf.
»Los jetzt!«, befiehlt Cortés. »Diese beiden nehmen wir mit.«
Er ergreift einen von ihnen beim Handgelenk und zieht ihn hinter sich her. Sandoval verfährt mit dem zweiten genauso. Im Laufschritt eilen wir ins Haus zurück. Drinnen bittet Cortés die beiden Azteken, ihm in seine Gemächer zu folgen, und bietet ihnen bequeme Sitzplätze an.
»Ich bin ein Bewunderer eures Königs«, versichert er. »Ich wusste nichts von dieser ruchlosen Tat des Totonaken-Herrschers, sonst hätte ich euch schon früher befreit. Aber erklärt mir doch bitte – was glaubt ihr, warum König Pazinque euch so schlecht behandelt hat?«
Die beiden Tributeintreiber wechseln erneut Blicke. »Der Große Montezuma hat uns ausgesandt, damit wir den Totonaken eine zusätzliche Tributlast auferlegen«, erklärt schließlich einer von ihnen. »Als verdiente Strafe, weil ihr
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