Goldfieber
Der Sklave mit dem Fächer wedelt ihm kühlende Luft zu, ein zweiter Sklave reicht ihm einen Becher mit flüssiger Schokolade, doch der König lehnt keuchend ab.
Wir beeilen uns, mit seinen Trägern Schritt zu halten. Auch der königliche Hofstaat setzt sich in Bewegung, gefolgt von unserer Kolonne – dreihundertfünfzig Konquistadoren, den Artilleristen, Gewehr- und Armbrustschützen sowie rund hundert kubanischen Sklaven.
Cempoallan ist noch weitaus größer und prächtiger als die Maya-Stadt Potonchan, das wird mir schon nach wenigen Schritten klar. Die Straßen sind breit und gut befestigt, die Häuser allesamt mindestens zwei Stockwerke hoch. Bäume säumen die Straßen, an den Hauswänden hängen Käfige mit vielerlei Vögeln, die um die Wette pfeifen und trillern. Geschäftig eilen Händler mit ihren Traglasten oder mit ganzen Karawanen voll beladener Sklaven auf den Marktplatz am Ende unserer Straße zu. Frauen stehen schwatzend am Straßenrand, Männer schreiten mit gewichtiger Miene vorüber, kleine Jungen werfen sich lachend Lederkugeln zu. Vom Marktplatz her erklingt ein munteres Gewirr aus menschlichen Stimmen, Gegacker und hellemHundegebell. Der Geruch von frisch gebratenem Geflügel, von allerlei Blumen und Gewürzen weht mir in die Nase, doch einige Dutzend Schritte vor dem Marktplatz biegen die Sänftenträger mit König Pazinque in eine noch viel breitere und prächtigere Straße ab.
Bald darauf sind wir im Innersten der Stadt. Hier ragen zahllose Pyramiden in den Himmel empor, mit quaderförmigen Tempeln hoch oben auf dem First. Vor der größten Pyramide steht ein wenigstens sechzig Fuß hohes und ebenso breites Gerüst, auf dem Hunderte Totenschädel in der Mittagssonne bleichen.
»Diese verfluchten Teufel!«, stößt Portocarrero hervor.
Doch auf mich machen die Stadt und ihre Bewohner keinen teuflischen Eindruck – wenngleich die grausige Schädelsammlung auch mir Schauder über den Rücken jagt. Offenbar lässt auch der Totonaken-Herrscher den blutrünstigen Aztekengöttern Menschen opfern.
Cortés schreitet zur Rechten der königlichen Sänfte, umgeben von Marina, seinen drei Vertrauten und Fray Bartolomé. Anscheinend ist ihm gerade etwas ganz Ähnliches wie mir durch den Kopf gegangen. »Wie heißen die Götzen, die in Eurer Stadt verehrt werden?«, fragt er König Pazinque. »Wir sind gekommen, Euch die frohe Botschaft des einen und allmächtigen Gottes zu bringen. Doch bevor wir Eure Götzenbilder zerschmettern, möchte ich wissen, welcher Art von Irrglauben Ihr und Euer Volk verfallen wart.«
Anstatt seine Worte zu übersetzen, schaut Marina unseren Herrn unter zusammengezogenen Augenbrauen an.
»Worauf wartest du, Sklavin?«, schreit Portocarrero. »Erkläre dem fetten Häuptling, dass wir seine Satansgötzen in Stücke hacken werden – und jeden dreckigen Teufelsjünger, der sich uns in den Weg zu stellen wagt!«
»Wenn Ihr mich fragt – das sollten wir nicht überstürzen«, mischt sich Fray Bartolomé ein. »Lasst uns diesen Indianernerst einmal erklären, was es mit unserem Glauben auf sich hat – dann werden sie sich leichten Herzens von ihrem Götzenkult trennen.«
Mittlerweile haben wir einen Platz von gewaltiger Ausdehnung erreicht, der von Palästen und weiteren Pyramiden mit Tempeln auf den flachen Dächern gesäumt ist. Cortés schaut unschlüssig von Portocarrero zu Fray Bartolomé. Diesmal scheint er wirklich mit sich zu ringen, ob er dem Ratschlag des »Dröhnenden« oder der Empfehlung seines Lieblingspriesters folgen soll.
Ehe er zu einer Entscheidung gelangt ist, stürzt ein Indianer aus einem Palast am anderen Ende des Platzes und rennt in gestrecktem Lauf auf uns zu. Vor der Sänfte seines Königs bleibt er stehen und legt die flachen Hände vor der Brust gegeneinander. Atemlos stößt er einen Wortschwall auf Nahuatl hervor.
Ich schaue Carlita fragend an. »Von Norden her«, übersetzt sie mit gedämpfter Stimme, »nahen fünf Tributeintreiber mit einem Gefolge von dreißig Sklaven aus Tenochtitlan. Wie lauten Eure Befehle, Herrscher?«
König Pazinque starrt finster vor sich hin. »Ich kann mir schon denken, was diese Halsabschneider wieder hier wollen!«, stößt er hervor. »Als sie das letzte Mal hier waren, habe ich sie angefleht, unsere unmenschlich schweren Tributlasten zumindest ein wenig zu verringern. Dreißig Bahnen Baumwollstoff, zehn Jaguarfelle, je drei Säcke voll Grünstein und Jade Jahr für Jahr – er blutet uns aus, er raubt uns
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