Goldfieber
wie seine Kinnwülste das erlauben. »Ich fühle mich zutiefst geehrt«, versichert er, »dass Ihr die bescheidenen Dienste meines Volkes in Anspruch nehmen wollt. Auf einem Hügel unweit jener Bucht befindet sich eine kleine Totonaken-Stadt namens Quiahuiztlan. Ich schicke sogleich einen Boten zu Häuptling Silberbogen, um ihm die nötigen Anweisungen zu erteilen. Seid unbesorgt, bärtiger Statthalter – alle Eure Befehle sollen augenblicklich erfüllt werden!«
Pazinque verstummt und ringt keuchend um Atem. Er trägt heute ein womöglich noch prächtigeres Gewand als gestern. Es besteht aus einer fast durchscheinend dünnen Lederhaut, die mit unzähligen zitronengelben Federn besetzt ist, keine von ihnen größer als der Nagel meines kleinen Fingers. Die Federn beben im leichten Luftzug und entlang der Säume schimmert es vor Goldund Silberfäden. Aus Gold ist auch die Halskette, die Pazinque unterhalb seiner Kinnwülste trägt. Die Kettenglieder sind wie unregelmäßige Kugeln geformt, und nachdem ich eine Weile darauf gestarrt habe, wird mir klar, was diese Kugeln darstellen sollen. Es sind winzige Nachbildungen menschlicher Totenschädel.
Erst am späteren Vormittag sehe ich Carlita wieder, jedenfalls in Wirklichkeit – in meinen Gedanken und Tagträumen bin ich fast unaufhörlich bei ihr. Geleitet von König Pazinque in seiner zimmergroßen Sänfte, streben wir in endloser Kolonne erneut dem Stadttor von Cempoallan entgegen. Carlita kommt mir unausgeschlafenvor und scheint in düstere Gedanken versunken, doch als ihr Blick auf mich fällt, lässt ein rasches Lächeln ihr Gesicht erstrahlen. Ich mache ihr ein Zeichen, dass sie sich zu mir nach vorne durchwühlen soll. Aber sie schüttelt den Kopf und deutet mit der Schläfe zu dem stämmigen Mann in schwarzer Robe, der neben ihr schreitet. Es ist Fray Bartolomé.
Da erst wird mir klar, weshalb Carlita schlecht geschlafen hat. Nicht wegen des Lärms, den wir mit den Gefangenen veranstaltet haben, sondern wegen Xochiquetal! Der schreckliche Vorfall, den sie irgendwann vor Jahren erlebt haben muss, verfolgt sie bis in ihre Träume. Wieder empfinde ich Reue, weil ich dazu beigetragen habe, dass ihre schmerzlichen Erinnerungen wieder lebendig geworden sind. Aber gleichzeitig spüre ich in mir einen Stachel. Warum vertraut sich Carlita nicht mir an – sondern Fray Bartolomé?
So tief bin ich wieder einmal in Grübeleien versunken, dass ich meinen Vordermann beinahe umrenne, als unser Zug plötzlich stehen bleibt. Ich schaue um mich – soeben erklimmt Cortés die Stufen der größten Pyramide, vor der die Totenschädel auf ihrem Gerüst in der Sonne dörren. Hinter unserem Herrn steigen Alvarado, Portocarrero und Sandoval die blutverkrusteten Stufen hinauf, gefolgt von Marina, Aguilar und dem heuschreckenartig staksenden Notar Gutierrez.
Nachdem sie rund ein Dutzend Stufen erklommen haben, macht Cortés ein Zeichen und der Notar klappt mit säuerlicher Miene das Requerimiento auf. » Im Namen Gottes, Unseres himmlischen Herrn, und Seines Stellvertreters auf Erden, des Heiligen Vaters Papst Leo X. «, beginnt er herunterzuleiern, »erklären Wir, König Karl I. von Spanien, hiermit, dass ihr, die natürlichen Einwohner dieses Totonaken-Landes, sei dieses nun auf einer Insel oder auf dem Festland gelegen, nach himmlischem Ratschluss allesamt Unsere Vasallen seid und Uns für alle Zeiten Tribut und Gehorsam schuldet .«
Marina übersetzt und der Tätowierte steht stumm und nutzlos neben ihr. Gerade will der Notar mit dem nächsten Abschnitt des endlos langen Dokuments beginnen, da macht ihm Cortés ein Zeichen.
»Hebt als Erstes zehntausend eurer besten und kampferfahrensten Krieger aus«, sagt er im gleichen leiernden Tonfall wie Gutierrez, »und haltet sie in Bereitschaft, bis Wir euch durch Unseren Statthalter Hernán Cortés anweisen, eure Krieger unter der Führung des besagten Statthalters in die Schlacht zu führen.«
Marina übersetzt. Auf ein weiteres Zeichen von Cortés hin steckt Gutierrez seine Nase noch tiefer in den Lederfolianten und haspelt die restlichen Abschnitte des Requerimiento herunter.
Dann endlich marschieren wir weiter, alle dreihundertfünfzig Männer und ihre Pagen, gefolgt von unseren Kanonen- und Armbrust- und Gewehrschützen, den in Eisen gelegten Gefangenen und unseren kubanischen Sklaven. Doch schon nach wenigen Schritten stockt unser Zug erneut.
In einem Anbau der großen Pyramide hat Portocarrero hinter einer Gittertür ein
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