Goldgrube
Bei meiner Smith-Corona-Reiseschreibmaschine hatte ich immer eine einfache Nadel dazu benutzt, die verklebten Typen zu säubern.
Ich ließ die Briefe auf meinem Schreibtisch liegen und ging im Zimmer auf und ab. Dann setzte ich mich auf meinen Drehstuhl, zog die Schublade auf und entnahm ihr einen Packen Karteikarten. Ich brauchte eine Viertelstunde, um sämtliche Fakten so aufzunotieren, wie ich sie in Erinnerung hatte, eine Information pro Karte, bis meine Vorräte erschöpft waren. Ich breitete die Karten auf meinem Schreibtisch aus, ordnete sie neu, verschob sie zu Spalten und suchte nach Zusammenhängen, die ich zuvor nicht gesehen hatte. Aus meiner Sicht kam nicht viel dabei heraus, aber schon bald würde ich mehr Informationen zur Verfügung haben. Die Autopsie war inzwischen beendet, und der Gerichtsmediziner hatte sich eine konkrete Meinung über Tathergang und Todesursache gebildet. Wir gingen alle davon aus, daß Guy an einem Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf gestorben war, aber es konnten ja noch andere pathologische Erkenntnisse zutage treten. Vielleicht war er an einem Herzinfarkt gestorben, vielleicht war er vergiftet worden und im Schlaf gestorben, noch bevor ihn der erste Schlag traf. Aber welche Rolle spielte das jetzt eigentlich noch? Guy würde zur letzten Ruhe gebettet, seine Leiche vermutlich zum Begräbnis nach Marcella gebracht werden. Die verschiedenen Kriminalexperten würden die Indizien durchforsten, bis der Fall aufgeklärt war. Am Schluß würde die Geschichte sich zu einer Gesamtheit fügen, und dann würde ich vielleicht begreifen, wie alles zusammenpaßte. Bis dahin saß ich mit all den unzusammenhängenden Bruchstücken und einem flauen Gefühl in der Magengrube da.
Ich trug die Briefe den Flur hinunter und ließ den einen dabei in seiner Klarsichthülle. Am Kopiergerät machte ich von jedem eine Kopie, so daß ich nun je zwei Exemplare besaß. Die Kopien legte ich zusammen mit den Notizen, die ich mir auf die Karteikarten gemacht hatte, in meine Aktentasche. Die Originale schloß ich sorgsam in der untersten Schreibtischschublade ein. Als das Telefon klingelte, ließ ich den Anrufbeantworter übernehmen. »Kinsey, hier ist Christie Malek. Hören Sie, die Polizei war gerade mit einem Haftbefehl für Jack hier und —«
Hastig griff ich nach dem Hörer. »Christie? Ich bin’s. Was ist los?«
»Oh, Kinsey. Gott sei Dank. Entschuldigen Sie, daß ich Sie störe, aber ich wußte nicht, was ich sonst tun sollte. Ich habe versucht, Donovan zu erreichen, aber er ist draußen im Gelände. Wo Bennet ist, weiß ich nicht. Er hat gegen neun das Haus verlassen, ohne irgend jemandem ein Wort zu sagen. Kennen Sie einen guten Kautionssteller? Jack hat mich gebeten, ihm einen zu besorgen, aber ich habe in den Gelben Seiten nachgesehen, und für mich sieht einer wie der andere aus.«
»Sind Sie sicher, daß er in Haft ist? Sie haben ihn nicht nur aufs Revier mitgenommen, um ihn noch einmal zu verhören?«
»Kinsey, sie haben ihm Handschellen angelegt. Sie haben ihm seine Rechte vorgelesen und ihn dann auf dem Rücksitz eines Zivilwagens weggebracht. Wir waren beide völlig schockiert. Ich habe überhaupt kein Geld — weniger als hundert Dollar in bar — , aber wenn ich wüßte, wen ich anrufen soll...«
»Vergessen Sie das mit dem Kautionssteller. Wenn Jack unter Mordverdacht steht, wird keine Kaution akzeptiert. Was er braucht, ist ein guter Strafverteidiger, und zwar je schneller, desto besser.«
»Aber ich kenne keine Anwälte außer Tasha!« kreischte sie. »Was soll ich denn tun, mir etwa einen Namen aus dem Ärmel schütteln?«
»Warten Sie mal, Christie. Beruhigen Sie sich.«
»Ich kann mich nicht beruhigen. Ich habe Angst. Ich will Hilfe.«
»Ich weiß. Ich weiß. Nur einen Moment bitte«, sagte ich. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Lonnie Kingmans Büro liegt gleich neben meinem. Soll ich nachsehen, ob er da ist? Einen besseren als Lonnie können Sie gar nicht bekommen. Er ist der Größte.«
Sie schwieg einen Augenblick lang. »In Ordnung, einverstanden. Ich habe schon von ihm gehört. Das klingt gut.«
»Lassen Sie mir ein paar Minuten Zeit, dann werden wir sehen, was wir tun können.«
1 6
Ich erwischte Lonnies Sekretärin Ida Ruth, als sie gerade mit einer Kaffeekanne in der Hand aus der Küche kam. Ich zeigte mit dem Daumen auf Lonnies Tür. »Ist er da drin?«
»Er frühstückt gerade. Geh ruhig rein.«
Ich klopfte an die Tür, machte sie
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