Goldgrube
berührte, nahm den Telefonhörer ab und wählte Alison an der Rezejfiion an.
»Hi, Alison. Hier ist Kinsey. Weißt du irgend etwas über diesen Brief, der unter meiner Tür durchgeschoben wurde?«
»Er ist gestern nachmittag gekommen. Ich habe ihn erst hier vorne behalten, da ich dachte, du kämst noch mal, aber dann habe ich ihn dir doch lieber unter der Tür durchgeschoben. Warum, habe ich etwas falsch gemacht?«
»Nein, alles bestens. Ich war nur neugierig.«
Ich legte den Hörer auf und starrte den Umschlag an. Kürzlich hatte ich auf einer Fachmesse ein Set zum Abnehmen von Fingerabdrücken erstanden, und einen Augenblick lang überlegte ich, ob ich ihn einpudern und untersuchen sollte. Offen gestanden erschien es mir sinnlos. Alison hatte ihn zweifellos in der Hand gehalten, und selbst wenn ich auf brauchbare Abdrücke stieß, was würde ich dann mit ihnen anfangen? Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Polizei sie allein aufgrund meines Drängens überprüfen würde. Trotzdem wollte ich vorsichtig sein. Ich nahm den Brieföffner zur Hand, schlitzte den Umschlag auf und zog dann mit der Spitze den Brief heraus. Das Papier war billiges Standardpapier, zweimal gefaltet, ohne Datum und Unterschrift. Ich benutzte einen Radiergummi, um es aufzufalten, und beschwerte die gegenüberliegenden Ecken mit dem Brieföffner und der Kante meines Terminkalenders.
Sehr geehrte Miss Milhone,
ich finde, ich sollte Sie kurz zum Tema Guy Malek aufklären, ich frage mich, oh Sie wirklich wissen, mit wem Sie es zu Tun haben. Sr ist ein lügner und Dieb. Ich finde es wiederlich, das er durch den Erwerb plötzlichen Reichtums, eine zweite Chance im leben bekommen hat. warum sollen ihm fünf Milionen Dollar zufallen, wo er doch nie auch nur einen Roten Heller verdient hat? Ich glaube nicht, das wir uns darauf verlassen können, das er seine früheren Verbrechen wieder gut macht und seine Gläubigen entschädigt. Passen Sie blos auf, das Sie nicht genauso schlecht sind.
Ich nahm eine Klarsichthülle und schob den Brief hinein. Dann zog ich die Schreibtischschublade auf und holte den Brief heraus, den Max Outhwaite an Jeffrey Katzenbach geschrieben hatte, und legte die beiden zum Vergleich nebeneinander. Oberflächlich betrachtet sahen die Schrifttypen gleich aus. Wie zuvor war auch diesmal mein Name falsch geschrieben. Vielen Dank, es müssen bitte zwei l sein. Der Absender schien ein Problem mit der Unterscheidung von das und daß zu haben und schrieb es regelmäßig falsch. Milionen beziehungsweise Milionär war in beiden Briefen gleich geschrieben, aber da waren noch andere Merkwürdigkeiten. Mein Brief war nicht einmal halb so lang wie der an Katzenbach, und doch enthielt er mehr Fehler. Meinem ungeschulten Auge schienen die beiden Fehlergruppen auffällig voneinander abzuweichen. Wenn sich der Verfasser streng nach der Aussprache richtete, warum schrieb er dann Wörter wie Chance und Inspiration richtig? Außerdem befanden sich in meinem Brief deutlich weniger Kommas, Ausrufezeichen und falsche Großschreibungen. Es war zwar möglich, daß ein gewisses Ausmaß an Nachlässigkeit am Werk war, aber ich mußte mich doch fragen, ob der Autor nicht einfach nur so tat, als könne er nicht besser mit der Sprache umgehen. Die Verwendung des Wortes Gläubigen anstelle von Gläubiger war zudem nicht ohne Witz, vor allem im Zusammenhang mit einem Wiedergeborenen.
Ich fragte mich auch, weshalb er den ersten Brief mit dem Namen Max Outhwaite und mit einer erfundenen Adresse versehen hatte, meinen aber ohne Unterschrift abschickte. Ich mußte annehmen, daß Outhwaite dachte (zutreffenderweise, wie sich herausstellte), daß ein anonymer Brief an den Dispatch sofort im Papierkorb landen würde. Wahrscheinlich war außerdem, daß der Absender nicht ahnte, daß ich alle beide vorliegen hätte. Ich begriff zwar, was hinter dem Brief an den Dispatch steckte, aber nicht, was der an mich sollte. Was bezweckte Outhwaite?
Ich holte mein Vergrößerungsglas hervor und stellte die Dreifachlampe so ein, daß sie das stärkste Licht gab. Unter der Vergrößerung zeigten sich noch mehr Ähnlichkeiten. In beiden Dokumenten war der Buchstabe a leicht verdreht und neigte sich ein wenig nach links, und am kleinen i war ein Teil der unteren Serife weggebrochen. Außerdem waren die Kleinbuchstaben e, o, a und d allesamt verschmutzt und kamen eher als volle Tupfen heraus statt als Kreise, was auf ein altmodisches Farbband aus Stoff schließen ließ.
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