Goldgrube
vorsichtig auf und äugte hinein. Lonnie saß an seinem Schreibtisch, vor sich einen überdimensionalen Plastikbecher mit irgendeinem kalkig aussehenden Proteindrink. Ich konnte Blasen getrockneten Pulvers auf der Oberfläche schwimmen sehen, und über Lonnies Oberlippe hing noch die Andeutung eines Milchbarts. Er hatte einen Hügel aus Vitamintabletten und anderen Nahrungsergänzungen aus verschiedensten Fläschchen vor sich aufgehäuft und nahm zwischen einzelnen Schlucken von einem Gebräu, das so dickflüssig wai; daß es geschmolzenes Speiseeis hätte sein können, seine Pillen ein. Eine der Kapseln sah aus wie der Stein in einem protzigen Topasring. Er schluckte sie, als vollführte er einen Zaubertrick.
Lonnie sieht mehr wie ein Rausschmeißer aus als wie ein Anwalt. Er ist klein und stämmig — einszweiundsechzig, zweiundneunzig Kilo — und strotzt dank zwanzig Jahren eifrigen Krafttrainings vor Muskeln. Er ist einer von diesen Menschen mit einem hochtourigen Stoffwechsel, die wie verrückt Kalorien verbrennen, und er strahlt geballte Energie aus. Er spricht staccato und ist meist durch Kaffee oder zuwenig Schlaf aufgeputscht. Ich habe schon mehrere Leute behaupten hören, er sei auf Drogen und würde sich Anabolika spritzen. Ich persönlich bezweifle das. Er war die ganzen neun Jahre, seit wir uns kennen, stets überaktiv gewesen, aber ich habe ihn nie die Wut oder Aggressivität an den Tag legen sehen, die angeblich von dauerhafter Anabolikaeinnahme ausgelöst wird. Er ist mit einer Frau verheiratet, die einen schwarzen Gürtel in Karate hat, und sie hat sich nicht ein einziges Mal über auf Rosinengröße zusammengeschrumpfte Hoden beschwert, eine weitere unselige Nebenwirkung von Anabolikamißbrauch.
Sein meist zottiges Haar war an diesem Tag gestutzt und gebändigt worden. Das Hemd spannte sich straff über Schultern und Bizeps. Ich kenne seinen Halsumfang nicht, aber er behauptet, von einer Krawatte bekäme er das Gefühl, gleich gehenkt zu werden. Diejenige, die er trug, hing locker an ihm herunter, sein Hemdkragen war aufgeknöpft, und die Anzugjacke hatte er abgelegt. Er hatte sie ordentlich über einen Kleiderbügel drapiert, der vom Griff einer Schublade des Aktenschranks hing. Sein Hemd war blütenweiß, aber stark zerknittert, und er hatte die Ärmel hochgerollt. Manchmal trägt er eine Weste, um seine Erscheinung aufzumöbeln, aber heute nicht. Er schluckte die letzte Handvoll Pillen und hielt die Hand in die Höhe, um zu zeigen, daß er sich meiner Anwesenheit bewußt war. Glucksend kippte er den Rest seines Proteindrinks und schüttelte zufrieden den Kopf. »Huh, das ist gut.«
»Bist du im Moment beschäftigt?«
»Überhaupt nicht. Komm rein.«
Ich betrat das Büro und machte die Tür hinter mir zu. »Ich habe gerade einen Anruf von Christie Malek bekommen. Hast du die Geschichte verfolgt?«
»Den Mord? Ja, natürlich. Setz dich, setz dich. Ich muß erst um zwei im Gericht sein. Was ist denn los?«
»Jack Malek ist verhaftet worden und muß mit einem Anwalt sprechen. Ich habe Christie versprochen, dich zu fragen, ob du Interesse an dem Fall hast.« Ich nahm auf einem der beiden schwarzen Ledersessel Platz, die für Klienten bestimmt waren.
»Wann ist er denn abgeholt worden?«
»Vor fünfzehn oder zwanzig Minuten, schätze ich.«
Lonnie begann die Deckel der bunten Sammlung von Fläschchen auf seinem Schreibtisch wieder zuzuschrauben. »Was ist eigentlich genau passiert? Klär mich mal auf.«
Ich unterrichtete ihn so knapp wie möglich über den Fall. Es war unser erstes Gespräch über den Mord, und ich wollte, daß er so umfassend informiert wurde, wie ich es in der Kürze der Zeit bewerkstelligen konnte. Noch während ich sprach, merkte ich, wie Lonnie in Gang kam und die Räder zu rotieren begannen. Ich sagte: »Soweit ich zuletzt gehört habe — und zwar von der Haushälterin — , haben Guy und Jack nach einigen Stunden massiven Alkoholkonsums zu streiten angefangen, und Jack ist dann zu einer Golfer-Party in den Country Club gegangen.«
»Ich frage mich, wie die Polizei das entkräften will. Es müssen ihn dort doch mindestens ein halbes Dutzend Leute gesehen haben.« Lonnie warf einen Blick auf die Uhr und begann seine Ärmel herabzurollen. »Ich gehe mal rüber zum Polizeirevier und erkundige mich nach dem Stand der Dinge. Ich hoffe, Jack ist schlau genug, den Mund zu halten, bis ich dort ankomme.«
Er stieß sich von seinem Schreibtisch ab und nahm die Anzugjacke
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