Goldgrube
Maddison wäre? Das ganze Psychodrama mit der vermißten Myrna war nur ein Deckmantel für ihre Flucht. Sie mußte sich ausgemalt haben, wie die Polizei das Grundstück umgräbt und nach einer Leiche sucht, die es nie gegeben hatte. Um ihr Verschwinden glaubhaft zu Ende zu spielen, mußte sie ihre Abreise vollziehen, ohne gesehen zu werden, was ein Taxi ausschloß. Sie könnte ein Auto stehlen, aber das war von vornherein riskant. Und wie würde sie die Stadt verlassen? Würde sie trampen? Ein Autofahrer auf der Durchreise käme nie auf die Idee, daß jemand vermißt oder für tot gehalten würde. Flugzeug, Eisenbahn oder Bus?
Sie könnte einen Verbündeten haben, aber vieles, was sie bisher getan hatte, erforderte die raffinierte Planung eines einzelnen. Sie war seit über einer Stunde weg — mehr als genug Zeit, um durch den hinteren Teil des Grundstücks zur Straße zu marschieren. Ich hob den Kopf. In der Halle waren Stimmen zu hören. Vermutlich war die Polizei eingetroffen. Ich wollte mir das ganze Geschwätz nicht anhören. Enid sagte gerade: »Es sah ihr einfach überhaupt nicht ähnlich, also bin ich ans Telefon gegangen und habe...«
Ich schlüpfte zur Hintertür hinaus, sauste im Eilschritt durch den Innenhof und zur Auffahrt. Ich stieg in mein Auto und drehte den Zündschlüssel um. Mein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und versuchte, die Gegebenheiten zu erfassen. Claire Maddison lebte noch und hatte seit letztem Frühling in Santa Teresa gewohnt. Ich wußte nicht genau, wie sie das alles bewerkstelligt hatte, aber ich war mir relativ sicher, daß sie für Guys Tod verantwortlich war. Außerdem hatte sie sich beträchtliche Mühe gegeben, die anderen zu belasten, indem sie es so hingedreht hatte, daß Jack wie der Schuldige aussah und Bennet noch als zweite Alternative zur Verfügung stand, falls die Indizien für Jacks Täterschaft die Polizei nicht überzeugen sollten.
Vor mir schwang das Tor auf. Ich fuhr auf die Straße und bog nach links ab, während ich versuchte, mir vorzustellen, wie das Anwesen im Verhältnis zur Umgegend angelegt war. Ich nahm nicht an, daß sie sich dem Los Padres National Forest zuwenden würde. Der Berg war zu steil und unwirtlich. Es konnte natürlich sein, daß Claire Maddison im Laufe der vergangenen achtzehn Jahre Expertin für das Leben in der Wildnis geworden war. Vielleicht hatte sie vor, sich zwischen Krüppeleichen und Gestrüpp ein neues Zuhause zu schaffen, von wilden Beeren zu leben und Flüssigkeit aus Kakteen zu saugen. Wahrscheinlicher war allerdings, daß sie einfach die paar Morgen unbebautes Land überquert hatte, die zwischen dem Malekschen Grundstück und der Straße lagen. Bader hatte alles in Reichweite aufgekauft, und so war durchaus möglich, daß sie immer noch über Gelände hastete, das ihm gehört hatte.
Ich versuchte zu ergründen, was sie tun würde, wenn sie die Hauptverkehrsstraße erreichte. Sie konnte sich nach links oder nach rechts wenden und zu Fuß in eine der beiden Richtungen marschieren. Sie hätte auch irgendwo im Gebüsch ein Fahrrad versteckt haben oder sich darauf verlassen können, daß es ihr gelingen werde, per Anhalter weiterzukommen. Womöglich hatte sie auch ein Taxi gerufen, das auf sie wartete, wenn sie die Straße erreichte. Doch auch diese Überlegung verwarf ich wieder, weil ich im Grunde nicht glaubte, daß sie dieses Risiko eingehen würde. Sie würde nicht wollen, daß es jemanden gab, der sie hinterher beschreiben oder identifizieren konnte. Vielleicht hatte sie ja auch ein zweites Auto gekauft und es in einer Seitenstraße versteckt, vollgetankt und zur Abfahrt bereit. Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich über sie wußte, und merkte, wie wenig das war. Sie war fast vierzig. Sie hatte Übergewicht. Sie gab sich keine Mühe, ihr persönliches Erscheinungsbild zu verbessern. Bezogen auf unsere kulturellen Standards hatte sie sich unsichtbar gemacht. In unserer Gesellschaft werden Schlankheit und Schönheit mit Status gleichgesetzt, Jugend und Charme werden belohnt und mit Bewunderung bedacht. Eine Frau braucht nur unscheinbar oder leicht übergewichtig zu sein, schon gleitet das kollektive Auge über sie hinweg und hat sie sogleich vergessen. Claire Maddison hatte die perfekte Tarnung zustande gebracht, weil sie — abgesehen von ihrem Äußeren — auch noch die Identität eines Mitglieds der dienenden Schicht angenommen hatte. Wer weiß, was für Gespräche sie mitgehört hatte, als sie die
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