Goldgrube
fast bis an die Knie reichte. Die Ärmel waren hochgeschoben, und so sah ich ihre schmalen Handgelenke und die langen, kühlen Finger. Ihre Augen waren klein und von dunklem, durchdringendem Blau und lagen unter buschigen Augenbrauen. Ihre Zähne waren so perfekt wie in einer Zahnpasta-Reklame. Das Fehlen von jeglichem Make-up verlieh ihr eine zurückhaltende, fast etwas schüchterne Ausstrahlung, aber ihre Art war freundlich und ihr Lächeln warm. »Donovan hat angerufen und gesagt, daß er ein paar Minuten später kommt. Jack ist gerade auf dem Nachhauseweg, und Bennet muß irgendwo hier sein. Ich sehe gerade Baders Papiere durch und kann ein bißchen Gesellschaft gebrauchen.«
Während sie noch mit mir sprach, drehte sie sich um und ging auf das ehemalige Elternschlafzimmer zu, das ich durch eine offenstehende Tür erkennen konnte. »Wir suchen — unter anderem — immer noch nach dem fehlenden Testament. Man soll die Hoffnung nie aufgeben«, fügte sie sarkastisch hinzu.
»Ich dachte, Bennet wollte das erledigen.«
»Das ist Bennets Art, etwas zu erledigen. Er liebt es, zu delegieren.«
Ich hoffte, in ihrem Tonfall läge ein Hauch Ironie. Sicher konnte ich mir da nicht sein, also hielt ich den Mund.
Die Suite, die wir betraten, war riesig: zwei großzügige Räume, getrennt durch eine Schiebetür, deren zwei Teile in ihre jeweilige Wandhälfte geschoben waren. Wir durchquerten den vorderen Raum, der als Schlafzimmer eingerichtet war. Die Wände waren mit einer edel schimmernden rosafarbenen Seidentapete versehen. Der Teppich war creme-weiß und hatte einen dichten, kurzen Flor. Schwere, blasse Vorhänge hingen aufgezogen vor bleiverglasten Fenstern, die auf den gepflasterten Vorplatz hinausgingen. An der linken Wand befand sich ein Marmorkamin. Zwei identische Sofas flankierten ihn, massige Polstermöbel, bezogen mit dezent geblümtem Chintz. Das Himmelbett war tadellos gemacht, und die schneeweiße, seidene Tagesdecke wies keine Falte auf. Die Oberfläche des Nachttischs wirkte unnatürlich nackt, als wären einst persönliche Gegenstände nun unsichtbar verräumt worden. Vielleicht war das nur meine Einbildung, aber der Raum schien den lastenden Geruch von Krankheit zu bergen. Ich sah, daß man gerade dabei war, die Schränke zu leeren, deren Inhalt — Anzüge und Hemden — in große Pappkartons der hiesigen Altkleiderverwertung gepackt wurde.
»Das ist ja herrlich«, sagte ich.
»Nicht wahr?«
Hinter der Schiebetür befand sich ein Privatbüro mit einem großen Walnuß-Schreibtisch und antiken, hölzernen Ablageschränken. Die Decke war in beiden Räumen vier Meter hoch, aber dieser hier war der gemütlichere. In dem zweiten Marmorkamin hatte man Feuer gemacht, und Christie blieb kurz stehen, um ein Holzscheit in die bereits lodernden Flammen zu legen. Hier waren die Wände mit Walnußholz getäfelt, das so dunkel und glänzend war wie Karamel. Ich sah einen Kopierer, ein Fax und einen Computer mit Drucker auf den Einbauregalen rechts und links des Kamins stehen. Ein Aktenvernichter, dessen grüner On-Knopf leuchtete, stand neben dem Schreibtisch. Daneben lagen gedruckte Danksagungen, die darauf warteten, an diejenigen adressiert zu werden, die zur Beerdigung Blumen geschickt hatten.
Christie ging wieder an den Tisch zurück, wo sie den Inhalt zweier Schubladen in stabile Schachteln gefüllt und diese mit schwarzem Filzstift beschriftet hatte. Zwei große Plastiksäcke quollen über von weggeworfenem Papier. Dicke Aktenordner stapelten sich auf der Schreibtischplatte, und eine Reihe leerer Aktendeckel lagen verstreut auf dem Teppich. Diese Beschäftigung kannte ich gut: den Krimskrams zu sortieren, den die Toten hinterlassen haben. Unten im Hof hörten wir ein Motorrad heranfahren, dessen Motor noch einmal aufheulte, bevor es still wurde.
Christie legte den Kopf schief. »Ich höre die Harley. Klingt, als wäre Jack gekommen.«
»Wie läuft’s denn so bis jetzt?«
Ihre Miene zeigte eine gequälte Mischung aus Skepsis und Verzweiflung. »Bader hat seine Sachen im großen und ganzen in Ordnung gehalten, aber irgendwann ist ihm wohl die Begeisterung dafür ausgegangen. Sehen Sie sich mal dieses ganze Zeug an. Ich schwöre, wenn bei mir je eine unheilbare Krankheit diagnostiziert werden sollte, sortiere ich meine Papiere aus, bevor ich zu krank bin, um mich darum zu kümmern. Was ist, wenn man Pornofotos oder so etwas auf bewahrt hat? Die Vorstellung wäre mir ein Greuel, daß jemand meine privaten
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