Goldgrube
mich, was er wohl dachte, fragte mich, was passieren würde, wenn ich ihn die Treppe heraufkommen hören würde. Vielleicht hätte ich einen Bademantel anziehen und mich unten zu ihm setzen, alle Vorsicht in den Wind schlagen sollen — zur Hölle mit den Konsequenzen, aber das widersprach meiner Natur. Das lange Alleinsein hatte mich, was Männer anging, vorsichtig gemacht. Ich starrte zu dem Oberlicht aus Plexiglas über meinem Bett hinauf und dachte über die Risiken nach, die es mit sich brachte, wenn ich mich ihm näherte. Leidenschaft ist nie von Dauer, aber was ist das schon? Wenn man alles haben könnte, aber nur kurz, wäre dann der Liebesrausch den Preis an Schmerzen wert? Ich merkte, wie ich in den Schlaf versank, als wäre ich mit Steinen beschwert. Erst um 5.59 Uhr erhob ich mich wieder.
Ich zog meine Joggingsachen an und bereitete mich wie gewohnt auf meinen Dauerlauf vor. Dietz stand unter der Dusche, als ich das Haus verließ, doch es versetzte mir einen Stich, als ich entdeckte, daß er sich ans Packen gemacht hatte. Neben der Bettcouch, die er wieder hochgeklappt hatte, lag sein Koffer offen auf dem Fußboden. Die Decken hatte er zusammengefaltet und am einen Ende des Sofas aufgestapelt. Die benutzte Bettwäsche hatte er neben die Waschmaschine geworfen. Vielleicht glaubte er, sein Auszug würde meine Querelen mit ihm beenden und die Gefahr verringern, daß ich mich an ihn klammerte. Perverserweise mußte ich feststellen, daß ich zwar bei seiner Ankunft nichts empfunden hatte, aber nun, bei seiner Abreise, von einem quälenden Gefühl des Verlustes überfallen wurde. Zwei Tage lang war er bei mir gewesen, und schon litt ich, also war es vielleicht klug von mir gewesen, nicht weiter zu gehen. Ich lebte schon so lange keusch, was bedeutete da ein weiteres Jahr ohne Sex? Unbeabsichtigt entfuhr mir ein Laut, der ein Wimmern hätte sein können, wenn ich mir so etwas zugestehen würde.
Leise machte ich die Tür hinter mir zu und atmete tief durch, als könnte die feuchte Morgenluft das Feuer in meiner Brust lindern. Ich ließ das Gartentor hinter mir, blieb stehen und machte meine Stretching-Übungen, während ich meinen Geist auf Leerlauf schaltete. In den letzten Jahren als Privatdetektivin habe ich mir einen guten Trick zum Ausblenden meiner Gefühle angeeignet. Genau wie andere in den »helfenden« Berufen — Ärzte, Krankenschwestern, Polizisten, Sozialarbeiter, Sanitäter — ist emotionales Abschalten manchmal die einzige Methode, um angesichts des Todes in all seinen schäbigen Varianten zu funktionieren. Anfangs beanspruchte meine Distanzierung mehrere Minuten konzentrierten Bemühens, aber heute kann ich im Handumdrehen umschalten. Verfechter geistiger Gesundheit schärfen uns gern ein, daß unserem seelischen Wohlbefinden am besten damit gedient ist, wenn wir in Verbindung mit unseren Gefühlen bleiben, aber damit meinen sie doch bestimmt nicht die, die uns zu schaffen machen.
Der Dauerlauf war unbefriedigend. Es war ein bewölkter Morgen, und der Himmel zeigte sich in schwermütigem Grau, ohne sichtbaren Sonnenaufgang. Langsam verdrängte das Tageslicht den Dämmer, aber dennoch sah alles aus wie auf einem verblichenen alten Schwarzweißfoto. Mein Schritt kam mir ungleichmäßig vor, und ich kam nicht richtig in Trab. Die Luft war dermaßen kalt, daß ich nicht einmal ordentlich Schweiß produzierte. Pflichtbewußt zählte ich die Meilen ab und freute mich, daß ich es trotz allem durchhielt. An manchen Tagen ist Disziplin an sich schon ein Ziel, eine Methode, angesichts der kleinen Rückschläge des Lebens seinen Willen zu behaupten. Ich ging den halben Häuserblock nach Hause und fegte sorgfältig jegliches sehnsüchtige Gefühl beiseite.
Dietz saß am Küchentresen, als ich hereinkam. Er hatte eine Kanne Kaffee gekocht und mir meine Corn-Flakes-Schüssel bereitgestellt. Seine war bereits abgewaschen und gespült und trocknete auf dem Geschirrständer. Sein Koffer stand verschlossen neben der Tür, mitsamt seinem Kleidersack. Durch die offene Badezimmertür konnte ich sehen, daß er das Waschbecken von all seinen persönlichen Utensilien befreit hatte. Der Duft von Seife vermischte sich mit dem seines Rasierwassers, ein schweres männliches Parfüm, das alles durchdrang.
»Ich dachte, es wäre vielleicht einfacher, wenn ich abreise«, sagte er.
»Klar, kein Problem. Ich hoffe, du machst es nicht meinetwegen.«
»Nein, nein. Du kennst mich doch. Ich bin nicht so gut im Bleiben«,
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