Goldgrube
vor der Faith Evangelical Church. Guy hatte mich um Viertel vor drei angerufen, und ich hatte kurz darauf die Wohnung verlassen und nur noch kurz zum Tanken haltgemacht. Die Sonne war wieder herausgekommen, und der Tag wirkte sommerlich. Ich trug wie üblich Jeans und T-Shirt, hatte aber meine Reeboks und die Frotteesocken zu Ehren der plötzlichen Wärme gegen ein paar offene Sandalen eingetauscht. Das Gras vor der Kirche war erst vor kurzem gemäht worden, und der Bürgersteig war am Rand mit feinem Grün gesprenkelt. Der Rasen selbst war von einem blassen, graubraunen Schleier überzogen, da die gestutzten Halme in der Sonne braun geworden waren. Mehrere gutgläubige Narzissen hatten diese milden Temperaturen zum Anlaß genommen, ihre grünen Stengel zu präsentieren.
Peter war nirgends zu sehen, doch Guy stand mit einem Rucksack zu seinen Füßen an der Ecke. Als er mein Auto sah, tat er so, als wolle er trampen und streckte mit einem Lächeln den Daumen aus. Ich muß gestehen, daß mir das Herz brach, als ich ihn sah. Er hatte sich die Haare schneiden lassen, und sein Gesicht war so frisch rasiert, daß an einer Stelle, wo er sich geschnitten hatte, immer noch ein kleiner Fetzen Toilettenpapier klebte. Er trug einen marineblauen Anzug, der ihm nicht recht paßte. Die Hose war um den Po herum ausgebeult und ein wenig zu lang, so daß die Aufschläge hinten über den Bürgersteig schleiften. Die Jacke war über der Brustpartie zu weit, wodurch die Schulterpolster so übertrieben wirkten wie bei einem modischen Anzug aus den vierziger Jahren. Vermutlich war das gute Stück für einen Kirchenflohmarkt gespendet worden, oder vielleicht hatte er es auch jemandem abgekauft, der zwanzig Kilo mehr wog. Was auch immer die Erklärung war, er trug seinen Staat mit unsicherer Haltung, eindeutig nicht an Hemd und Krawatte gewöhnt. Ich fragte mich, ob meine eigene Verletzlichkeit bei meinem Essen mit Tasha ebenso offensichtlich gewesen war. Ich war meine persönliche Verschönerung mit ebensolcher Unsicherheit angegangen und hatte womöglich die gleichen jämmerlichen Ergebnisse erzielt.
Guy griff nach seinem Segeltuch-Rucksack. Er war sichtlich froh, mich zu sehen, und wirkte so unschuldig wie ein junger Hund. Er hatte etwas Weiches an sich, etwas Treuherziges und Unfertiges, als hätte ihn seine Verbindung zur Jubilee Evangelical Church im Lauf der Jahre von sämtlichen weltlichen Einflüssen isoliert. Das rücksichtslose Element in seinem Wesen war nun zu einer Sanftmut gezähmt worden, wie ich sie kaum je bei einem Mann gesehen hatte.
Er ließ sich auf den Beifahrersitz gleiten. »Hallo, Kinsey. Wie geht’s?« Er hielt den Rucksack auf seinem Schoß fest wie ein Kind bei der Abfahrt zum Wandertag.
Ich warf ihm ein Lächeln zu. »Sie haben sich ja richtig fein gemacht.«
»Ich wollte nicht, daß meine Brüder denken, ich hätte vergessen, wie man sich anzieht. Wie finden Sie den Anzug?«
»Die Farbe steht Ihnen gut.«
»Danke«, sagte er und strahlte vor Freude. »Ach, übrigens, schöne Grüße von Winnie.«
»Grüßen Sie sie wieder«, sagte ich. »Was haben Sie denn für Ihre Rückfahrt vereinbart? Wann wollen Sie wieder nach Marcella fahren?«
Guy sah von mir weg aus dem Seitenfenster, und die Gelassenheit seines Tonfalls strafte den Inhalt seiner Worte Lügen. »Kommt darauf an, was im Haus passiert. Donovan hat mich eingeladen, ein paar Tage zu bleiben, und ich hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn alles gut läuft. Ich schätze, wenn nicht, ist es sowieso egal. Ich habe Geld dabei. Wenn ich mich auf den Weg machen will, kann mich ja jemand zur Bushaltestelle bringen.«
Ich wollte gerade meine Dienste anbieten, besann mich dann aber eines Besseren. Ich sah zu ihm hinüber und studierte heimlich sein Gesicht im Profil. Nur bei manchen Beleuchtungen sah man ihm jedes einzelne seiner dreiundvierzig Jahre an. Doch seine Jungenhaftigkeit schien ein fester Bestandteil seines Charakters zu sein. Es war, als wäre seine Entwicklung im Alter von sechzehn, äußerlich vielleicht zwanzig Jahren angehalten worden. Er musterte die Straßen und nahm begierig auf, was es zu sehen gab, als befände er sich in einem fremden Land.
»Sie kommen wohl nicht oft hierher«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht viel Gelegenheit dazu. Wenn man in Marcella lebt, erscheint einem Santa Teresa zu groß und zu weit weg. Wir fahren nach Santa Maria oder San Luis, wenn wir etwas brauchen.« Er sah zu mir herüber.
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