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Goldgrube

Goldgrube

Titel: Goldgrube Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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Ruhe. Meine Augen schienen sich alle zwanzig Minuten von selbst zu öffnen. Ich wechselte die Stellung und zog die Decken zurecht. Zuerst war es mir zu heiß, dann zu kalt. Immer hoffte ich, daß die nächste Anordnung meiner Gliedmaßen bequem genug sein müßte, um mich einschlafen zu lassen. Ich lag mit unters Kopfkissen geschobenen Armen auf dem Bauch, dann mit aufgedeckten Schultern auf dem Rücken. Ich versuchte es auf der linken Seite, mit hochgezogenen Knien und den Armen unter der Decke, dann wieder auf der rechten und mit einem Fuß im Freien. Ich mußte den Wecker ohne nachzudenken gestellt haben, denn auf einmal lärmte das verdammte Ding an meinem Ohr los und riß mich aus dem wenigen Schlaf, der mir die ganze Nacht über vergönnt gewesen war. Ich stellte den Wecker aus. Völlig ausgeschlossen, jetzt den Kokon wärmender Federbetten zu verlassen. Als ich das nächste Mal aufwachte, war es Viertel nach neun, und ich war gezwungen, mich aus dem Bett zu quälen. Ich hatte eine Verabredung mit Jonah Robb auf dem Polizeirevier. Im Badezimmerspiegel musterte ich mein Ebenbild. Hübsch. Meine Gesichtsfarbe war gräßlich, und ich hatte Tränensäcke unter den Augen.
    Wie sich herausstellte, sprach ich nicht mit Jonah, sondern mit Lieutenant Bower. Sie ließ mich fünfzehn Minuten lang warten, während deren ich auf einer kleinen Zweipersonenbank in einem Raum saß, den man vermutlich als Foyer des Polizeireviers bezeichnen könnte. Unter dem wachsamen Blick des Beamten hinter dem Tresen rutschte ich auf meinem Sitz hin und her und musterte den Ständer mit den Plakaten über Vorbeugemaßnahmen gegen Verbrechen. Außerdem lauschte ich schamlos, während sechs jammernde Autofahrer hereinkamen und sich über ihre Strafzettel beschwerten. Endlich steckte Lieutenant Bower aus dem Ermittlungsdezernat den Kopf zur Tür herein. »Miss Millhone?«
    Ich hatte Betsy Bower noch nie gesehen, war aber neugierig auf sie gewesen. Der Name ließ eine kecke, blonde Person vermuten, eine ehemalige College-Cheerleaderin mit umwerfenden Schenkeln und ohne Hirn. Zu meiner Enttäuschung war Lieutenant Bower die am wenigsten kecke Frau, die ich je kennengelernt hatte. Sie war das polizeiliche Ebenbild einer Amazone: statuenhaft, zwanzig Zentimeter größer und vermutlich fünfundzwanzig Kilo schwerer als ich. Sie hatte dunkles Haar, das sie glatt nach hinten gekämmt trug, und eine kleine runde Brille mit Goldrand. Ihr Teint war makellos. Falls sie überhaupt Make-up trug, so war es äußerst gekonnt aufgetragen. Als sie sprach, fiel mein Blick auf liebenswert schiefe Zähne, was — wie mir später klarwurde — vielleicht erklärte, warum sie so ungern lächelte. Es war aber auch möglich, daß sie mich nicht mochte und am liebsten wie einen Käfer zertreten hätte.
    Ich folgte ihr in eine kleine Kammer mit zwei hölzernen Stühlen und einem zerkratzten Tisch, der zum Wackeln neigte, wenn man versuchte, seinen Arm darauf zu stützen und so zu tun, als sei man ganz locker. Sie hatte nichts bei sich — keinen Stift, keinen Block, keinen Ordner, keine Notizen. Sie sah mir direkt in die Augen und sprach ein paar kurze Sätze, nach denen ich an der Reihe war. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie würde sich an jedes Wort erinnern, das ich sagte. Wahrscheinlicher war allerdings, daß unser Gespräch heimlich aufgezeichnet wurde. Ich hätte ja gern verstohlen die Unterseite der Tischplatte nach Kabeln befühlt, fürchtete jedoch die Klumpen alten Kaugummis und die getrockneten Popel, die dort unten klebten.
    Sie sagte: »Wir sind froh, daß Sie sich herbemüht haben. Soweit ich weiß, wurden Sie von der Nachlaßverwaltung damit beauftragt, Guy Malek zu finden. Können Sie mir sagen, wie Sie das angestellt haben?« Ihr Blick war wachsam und ihre Art zurückhaltend.
    Die Frage traf mich unvorbereitet. Plötzlich durchzuckte mich ein Anflug von Angst, und die Farbe stieg mir in die Wangen, als käme ich gerade von der Sonnenbank. Ich stotterte wie ein Kleinflugzeug mit einem Tank voll minderwertigem Treibstoff. Zu spät wurde mir klar, daß ich darauf hätte vorbereitet sein sollen. Normalerweise lüge ich keine Polizisten an, das wäre ja schließlich nicht korrekt. Im Grunde meines Herzens bin ich für Recht und Ordnung. Ich glaube an mein Land, die Flagge, ans Steuernzahlen und an Strafzettel für falsches Parken, daran, die Bücher rechtzeitig in die Bücherei zurückzubringen und die Straße bei Grün zu überqueren. Außerdem steigen

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