Goldgrube
gegessen, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, was es war.«
»Ich habe Rindfleischeintopf da, wenn du möchtest. Ich wollte selbst gerade einen Teller davon essen.«
»Gern.« Ich sah Henry dabei zu, wie er die Flamme unter dem Eintopf regulierte. Er holte einen Laib selbstgebackenes Brot heraus, schnitt es in dicke Scheiben und legte diese in einen Korb mit einer zusammengelegten Serviette darüber. Er verteilte Teller und Löffel, Servietten und Weingläser und hantierte so mühelos und geschickt in der Küche, wie ich es von ihm gewohnt war. Nach wenigen Momenten stellte er zwei Teller voller Eintopf auf den Tisch. Ich stand von seinem Schaukelstuhl auf und schlurfte, immer noch in die Wolldecke gehüllt, zum Küchentisch hinüber. Er schob mir die Butter hin und setzte sich auf seinen Stuhl. »Jetzt erzähl mir mal die Geschichte. Die offiziellen Tatsachen kenne ich schon. Die haben sie den ganzen Nachmittag lautstark im Fernsehen verkündet.«
Ich begann zu essen, während ich redete, und merkte erst jetzt, wie hungrig ich war. »Womöglich weißt du mehr als ich. Ich bin nicht so dumm, daß ich meine Nase in Ermittlungen in einem Mordfall stecken würde. Heutzutage ist es schon, ohne daß sich Außenstehende einmischen, schwer genug, ausreichend Beweise zusammenzutragen.«
»Du bist ja nicht gerade eine Amateurin.«
»Ich bin auch keine Expertin. Zuerst müssen Techniker und Spurensicherung ihre Arbeit tun. Ich halte mich zurück, solange ich keine anderen Anweisungen bekomme. Mein Interesse ist persönlich, aber im Grunde geht mich die Sache nichts an. Ich hatte Guy gern. Er war nett. Seine Brüder widern mich an. Das ist ein prima Eintopf.«
»Hast du eine Theorie über den Mord?«
»Sagen wir mal so: Guy ist nicht das Opfer eines Raubüberfalls durch einen Wildfremden. Der arme Kerl hat geschlafen. Soweit ich gehört habe, haben sie alle getrunken, also war er wahrscheinlich völlig weggetreten. Er war keine harten Sachen mehr gewöhnt, erst recht nicht in großen Mengen, wie es bei den Maleks Usus ist. Der Täter wußte, wo sein Zimmer liegt, und wahrscheinlich auch, daß er in seinem Zustand nicht mehr in der Lage wäre, sich zur Wehr zu setzen. Ich sage dir, mit Ausnahme von Christie habe ich eine derartige Abneigung gegen diese schreckliche Familie entwickelt, daß ich es kaum unter einem Dach mit ihnen aushalte. Und ich fühle mich schuldig wegen Guy. Ich fühle mich schuldig, weil ich ihn gefunden habe, und schuldig, weil er zurückgekommen ist. Ich weiß zwar nicht, was ich sonst hätte tun können, aber ich wünschte, ich hätte ihn in Marcella gelassen, wo er in Sicherheit war.«
»Du hast ihn nicht dazu ermuntert zurückzukommen.«
»Nein, aber ich habe auch nicht massiv dagegen argumentiert. Ich hätte mich deutlicher ausdrücken sollen. Ich hätte ihm die Einstellung seiner Brüder darlegen müssen. Ich habe die Gefahr für rein emotional gehalten. Ich hätte nicht gedacht, daß allendErnstes jemand auf ihn losgehen würde.«
»Glaubst du, daß es einer seiner Brüder war?«
»Der Gedanke hat etwas für sich«, sagte ich zögernd. »Es ist eine gefährliche Vermutung, und ich weiß, daß ich keine vorschnellen Schlüsse ziehen sollte, aber es ist immer leichter, jemandem einen Verdacht anzuhängen, den man nicht leiden kann.«
Um halb neun am selben Abend befand ich mich wieder in meiner Wohnung und hatte die Tür abgeschlossen. Ich saß eine Zeitlang, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, an meinem Küchentresen, bevor ich genug Mut gefaßt hatte, Peter und Winnie Antle anzurufen, die die Geschichte auf dem Nachrichtensender Santa Maria verfolgt hatten. Die gesamte Kirchengemeinde hatte sich am frühen Abend versammelt, entsetzt und tief betrübt über den Mord. Ich hätte ihnen den Verlust gern leichter gemacht, obwohl ihr Glauben ihnen wohl mehr Trost spendete, als ich ihnen je vermitteln konnte. Ich erklärte ihnen, daß ich so eng wie möglich mit ihnen in Verbindung bleiben würde, und beendete das Gespräch, ohne mich meinerseits nennenswert getröstet zu fühlen. Nachdem ich alle Lichter ausgeschaltet hatte, lag ich unter einem Stapel Federbetten im Bett und versuchte, den Ereignissen des heutigen Tages einen Sinn abzugewinnen. Das Grauen lastete schwer auf mir. Guys Tod hatte etwas weitaus Schlimmeres als Trauer ausgelöst. Was ich empfand, war kein Kummer, sondern eine drückende Reue, die sich in meiner Brust verkeilt hatte wie ein Klumpen heißes Fleisch. Ich fand keine
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