Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
Leichentuch erinnern, das sich auf einem hölzernen Karren seinen Blicken entfernte.
Flüchtig glitt er mit den Fingern über das Stoffbündel, in welches er den Zwieback und die Goldmünzen gewickelt hatte. Sie waren noch da, er konnte es deutlich fühlen, er hatte nicht geträumt. Zwar wusste er nicht, wie viel Geld es war, denn er war nicht zum Zählen gekommen, aber er hoffte, dass es reichen würde, um ein völlig neues Leben zu beginnen. Hier auf dem Meer hatte er während des Ruderns genug Muße, sich zu überlegen, wie sein neues Leben aussehen sollte. Und mit Erstaunen stellte er fest, dass er es tief in seinem Inneren bereits ganz genau wusste. Der herrliche Anblick der Kleinodien aus dem Schatz des Zaren hatte ihn nicht losgelassen, verfolgte ihn wie eine glänzende Chimäre, die ihn mit staunender Ehrfurcht und Bewunderung erfüllte. Er würde Goldschmied werden, nie wieder einen Fuß auf das Meer setzen und nie wieder betteln gehen.
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Tagebucheintragung vom 08.02.1980
Ich habe lange Zeit nicht mehr geschrieben. Es gab einfach zu viel zu tun. Der Ausbau der Wohnung, unser beider Umzug, der Weihnachtsstress und natürlich die Arbeit. Der sozialistische Wettbewerb lief auf vollen Touren und keiner wollte auf die Prämien verzichten oder eins auf die Mütze bekommen. Zu Weihnachten habe ich Olga das erste Mal mit zu meiner Familie genommen. Sie waren alle sehr gespannt, doch leider scheint meine Mutter sie nicht sehr zu mögen. Als Olga ihr in der Küche half, nahm sie mich im Wohnzimmer zur Seite und sagte, sie sei eine, die für Geld über Leichen geht. Das kann ich mir aber nicht vorstellen. Meine kleine, zarte, schutzlose Olga.
Inzwischen wohnen wir seit knapp drei Monaten glücklich zusammen, ich nehme zumindest an, dass wir glücklich sind. Die Wohnung ist ziemlich klein, eine größere wird uns erst zugewiesen, wenn ein Kind kommen wird, aber es ist unser Zuhause und gemütlich.
Leider läuft im Bett weiterhin nicht viel. Olga-Schatz scheint mit einem Schlag frigide geworden zu sein. Ich dagegen könnte immer. Nun hab ich sie jeden Tag ganz für mich allein und nichts passiert. Es ist zum Haareausraufen (deshalb werden die wahrscheinlich auch immer dünner). Stattdessen erzählt sie ständig, sie wäre eine „Sophia Alexejewna“ und letztens war sie völlig aus dem Häuschen, weil sie meinte, sie hätte herausgefunden, wo sich das im Jahre 1704 verschollene Zarengold befinden würde. Ich mache mir wirklich Sorgen.
Auch ihr Verhalten mir gegenüber ist nicht besser geworden. Wenn ich nicht genau wüsste, dass sie mich liebt, würde ich beinahe meinen, sie verachtet mich. Dabei tue ich doch alles für sie. Deshalb kann das einfach nicht sein.
Um mich abzulenken habe ich angefangen zu kochen. Am liebsten mache ich Bratkartoffeln. Es ist unglaublich, auf wie viele verschiedene Arten man die zubereiten kann.
Ich versuche herauszufinden, was am besten schmeckt und lerne ständig dazu. Besonders knusprig werden sie, wenn man sie mit Paprikapulver und Mehl bestäubt.
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Die Tage vergingen mit Blumengießen und intensiven Recherchen. Als ich im Internet nicht mehr weiterkam, richtete ich mich in der Bibliothek häuslich ein und durchwühlte alte Zeitschriften, Chroniken und Bücher. Die staubige Luft des Lesesaales kratzte in meiner Kehle und das dumpfe Licht, das die meterhohen Regale und die dunklen Gänge mehr schlecht als recht beleuchtete, flackerte vor meinen Augen. Der Samstag rückte näher und die Einladung auf die Taubeninsel meldete sich unangenehm meinem Gedächtnis. Zwar war ich noch immer neugierig, aber so wirkliche Lust auf eine Geburtstagsparty bei einem 96jährigem Greis hatte ich trotz Raik eher nicht, doch absagen wollte ich dennoch nicht mehr. Wer weiß, vielleicht konnte es mich ja vom Brüten über kostbaren Fabergé-Eiern und gierigen Großfürstinnen ablenken.
Ein kleiner Absatz in Frakturschrift erregte meine Aufmerksamkeit. Kriegsschiff „Wassilissa“ nach Auslaufen aus dem Hafen von St. Petersburg nur wenige Meilen von der Küste entfernt gesunken. An Bord ein nicht unbeträchtlicher Teil des Zarenschatzes, ein Geschenk für August II., König von Polen und Kurfürst von Sachsen. Mein Blick glitt zurück zum Datum. 1704. Irgendetwas ließ mich innehalten. „Wassilissa, Wassilissa“ murmelte ich vor mich hin. Ich hätte schwören können, diesen Namen schon einmal gehört oder gelesen zu haben. Natürlich kannte ich die alten russischen
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