Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
Raik ins Ohr.
„Dann ist sie wohl etwas kleiner?“, fragte ich schreiend zurück. Er nickte.
Ich genoss den kühlen Fahrtwind und die klare Luft auf dem Wasser, hatte aber nicht lange Gelegenheit dazu, da schon bald hinter den weidengesäumten Buchten eine weitere kleine Insel auftauchte. Auch hier wachten Weiden am Fluss, die jedoch mit ihrem hellen Frühlingsgrün einen reizvollen Kontrast zu dem fast schwarzem Grün Unmengen alter Eichen bildeten, welche im Hintergrund jeden Einblick auf die Insel versperrten.
Eine kleine Anlegestelle kam in Sicht mit einem angedeuteten hölzernen Tor, an welchem bunte Luftballons schaukelten. Raik half mir galant aus dem Boot und verabschiedete sich von Rudi. Kaum war das Geräusch des Motors verklungen standen wir inmitten von Schweigen. Noch nicht einmal die Rufe eines Vogels drangen aus dem dichten Eichenwald zu uns herüber, dafür jedoch der wunderbar würzige Duft eines solchen Waldes, der die Moleküle in den Energiebahnen tanzen läßt.
„Verlaufen möchte ich mich hier nicht“, sagte ich und Raik erwiderte lachend: „Hier kannst du dich gar nicht verlaufen, denn dazu ist die Insel viel zu klein.“
„Ooch, ich kann alles“, bemerkte ich grinsend.
Irgendwie hatte ich das starke Verlangen, jetzt, hier, an dem ruhigen Ufer, allein mit Raik zu bleiben, für lange, lange Zeit. Ein erstes zartes Rot hatte sich schon über die Wellen gelegt und verstohlen tastete ich nach meiner Tasche. Sie war noch da und das war gut so, denn sie enthielt das Geburtstagsgeschenk, die Reproduktion einer alten Weltkarte, weil ich wusste, dass Onkel Albert, wie ich ihn nannte, so etwas mochte.
Raik zog mich auf einen kleinen Weg, der tiefer in den Eichenwald hineinführte. Als ich mich ein letztes Mal umschaute, erschien mir das einsame, mit bunten Luftballons geschmückte Willkommenstor am Flussufer, das Symbol menschlicher Anwesenheit auf der Insel, seltsam widersprüchlich zu der herrschenden Stille.
***
Zwanzig Jahre nach dem unrühmlichen und plötzlichen Ende des Kriegsschiffes „Wassilissa“ betrat eine Frau in St. Petersburg das kleine Juweliergeschäft dort an der Ecke wo die Bolschaja Uliza die Pushkarskaja Uliza kreuzt. Der Inhaber der Werkstatt hatte sie bereits eine ganze Weile durch die Schaufensterscheibe, hinter der ein großes Schild umrahmt von zwei bunten Weihnachtsbäumen stand, beobachtet, verfolgt, wie sie aufmerksam den Namen auf der Reklametafel gemustert und die Dekorationsobjekte betrachtet hatte. Es war etwas an ihr, das ihn wunderlich anzog, obwohl er es nicht benennen konnte. Zwanzig Jahre nach dem unrühmlichen und plötzlichen Ende des Kriegsschiffes „Wassilissa“ betrat eine Frau in St. Petersburg das kleine Juweliergeschäft dort an der Ecke wo die Bolschaja Uliza die Pushkarskaja Uliza kreuzt und Piotr Petrowitsch sah sofort, dass sie nicht mehr jung zu nennen war, aber bei weitem auch nicht alt. Ihr Gesicht gleicht einer blühenden Rose, dachte er in poetischen Worten, die er irgendwo aufgeschnappt hatte, aber ihre Haut war für die einer Dame eine Spur zu dunkel, wodurch jedoch ihre hellgrauen Augen um so schöner leuchteten. Bei all dem hatte er das Gefühl, sie schon seit langer Zeit zu kennen. Wurde das nicht in Liebesromanen immer so erzählt? Er fragte sich, welches seiner edlen Schmuckstücke sie begehrte, um ihre eigene Kostbarkeit zu unterstreichen.
Beflissen näherte er sich, grüßte artig und fragte nach ihren Wünschen, wobei sein Blick auf die raschelnden burgunderfarbenen Abschlussvolants ihres Rockes fiel, welche ihn wiederum sofort an das herrliche granatrote Collier denken ließen, das vor kurzem erst fertig geworden war. Für seinen Geschmack musterte sie ihn einen Augenblick zu lange, es wurde ihm unbehaglich, denn er mochte es nicht angestarrt zu werden, schon gar nicht von diesen durchdringenden grauen Augen und er fingerte nervös an seinem modischen Augenglas.
„Peter...“, flüsterte sie und ihm stockte das Herz.
„Wie meinen?“ Er tat als hätte er nichts vernommen.
„Erkennst du mich nicht?“
„Gnädige Frau, ich bitte Sie. Das muss eine Verwechslung sein. Ich wüsste nicht, woher ich Sie kennen sollte.“
„Aber an den ‚Sturmvogel’ erinnerst du dich, oder?“
Piotr Petrowitsch merkte, wie ihn seine Beine nicht mehr tragen wollten und ungebärdig zu zittern begannen. Das blaue Licht des frühen Wintermorgens warf durch das Ladenfenster hindurch trübe Wellen in
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