Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
auf dieser Insel wusste, was Sache war – einschließlich mir. Dieser Kuss hatte meine letzten Zweifel hinsichtlich seiner Absichten und Vorstellungen mit mir ausgeräumt. Es gab kein Zurück mehr, doch zurück wollte ich sowieso nicht. Dazu erschien mir die Zukunft in seinen Armen, wie lang oder kurz sie auch immer sein mochte, viel zu verlockend.
Endlich hatten wir genug davon, uns begaffen zu lassen, und spazierten eine steinerne Treppe hinunter in den Rosengarten. Raik führte mich, als wir den Rosengarten durchquert hatten, dessen schwere, süße Atmosphäre sich, getragen von müdem Wind, über uns legte, einen Zaun entlang bis zu einer kleinen Pforte. Er öffnete einen versteckten Riegel und wir betraten ein Gelände mit wilden Ginsterbüschen und Koniferen, welche lückenlos in leichten Wald übergingen. Das weiche Moos dämpfte unsere Schritte und die Tanzmusik schwang sich als leiser Widerhall zu uns herüber, umstrich schmeichelnd und schnurrend die Bäume und verklang in den mächtigen Laubkronen der Eichen. Es wurde sehr schnell immer dunkler und ich hoffte, dass Raik den Weg auch blind kannte. Es dauerte nicht lange, da hatten wir wieder das Ufer erreicht, diesmal an einer anderen Stelle, die etwas versteckt hinter hohem Schilfrohr lag. Ein Ruderboot schwankte im Wasser und Raik lud mich galant ein, einzusteigen. „Komm schon, ich muss dir etwas zeigen.“ Er streifte sein Jackett von der Schulter, rollte es zusammen und platzierte es auf den Bootsplanken. „Leg dich auf den Rücken!“, befahl er mir.
„Ähm, ich finde diese Stellung ja ganz nett, aber auf so hartem Boden bin ich lieber oben“, versuchte ich zu scherzen. Er grinste amüsiert, aber der fiebrige Glanz seiner Pupillen verriet mir, dass ich wohl mit diesem Satz ein kleines Feuer in ihm entfacht hatte. Er ließ sich jedoch nichts anmerken und bestand weiter lächelnd darauf, dass ich mich hinlege, was ich vorsichtig versuchte, und kaum hatte ich meinen Kopf auf sein noch warmes Jackett gebettet, tat sich vor meinen Augen ein unbeschreiblicher Anblick auf. Über dem schwankenden Schilfrohr zeigte sich strahlend der sternenübersäte Nachthimmel und umschloss meinen Blick endlos weit und doch so nah, dass ich meinte in ihm zu versinken, während mein Körper scheinbar schwerelos auf dem Wasser schaukelte.
„Wow!“, hauchte ich beeindruckt. „Ist das schön! Ein Kettenkarussell oder ein Riesenrad sind gar nichts dagegen. Mir ist schon ganz schwindelig.“ Er hatte sich neben mich gelegt und nur am Vibrieren seines Brustkorbs merkte ich, dass er eine Antwort summte.
Ich bewunderte den Abendstern, der heller als alle anderen Sterne am Westhimmel leuchtete, aber je länger ich in die Nacht blickte, um so mehr Sterne entdeckte ich. Manche waren aus der Perspektive nur nadelkopfgroß und kaum zu sehen, doch sobald ich sie gefunden hatte, schien ihr Licht immer stärker zu strahlen, bis ich mich fragte, wie ich sie nur hatte übersehen können. Es ist, als hätten unsere Augen einen lahmgelegten Sternenfokus, der erst nach viel Übung einen Blick in die wahre Unendlichkeit erlaubt, dachte ich bei mir. Ich wusste nicht, wo Raik gerade mit seinen Gedanken war, aber ich war mir sicher, dass er mit ihnen irgendwo dort im weiten Raum sein musste, wo meine ebenfalls reisten.
Wir schaukelten lange still auf dem Wasser bis Raik mir einen Schubs gab: „Na komm! Gehen wir zurück, sonst werden wir vermisst. Ich zeige dir dann dein Zimmer. Du bist sicher müde.“
Ich nickte. Der Abend war anstrengend und aufregend gewesen. Keiner von uns hatte eine Uhr, aber als wir den festlich geschmückten Garten wieder erreichten, erfuhren wir, dass es inzwischen eine Stunde nach Mitternacht geschlagen hatte. Einige Gäste amüsierten sich zwar unverdrossen, doch das Häufchen war schon sehr geschrumpft und auch die Blaskapelle hatte sich bereits in ihren wohlverdienten Feierabend begeben. Neda, die Haushälterin, achtete jedoch weiterhin beflissen darauf, dass es den Gästen an nichts fehlte.
Das weiße Herrenhaus hatte für die Nacht ein sehr viel dunkleres und geheimnisvolleres Aussehen angenommen, welches vor allem durch den mit wildem Wein (Efeu war es nicht, wie ich später festgestellt hatte) bewachsenen Turm zustande kam, da dieser als Silhouette dadurch wuchtiger und abwehrend stachelig wirkte. Raik führte mich über die mit spitzen Aloe-Pflanzen gesäumte Treppe zu der großen Flügeltür, die der Haupteingang des Hauses war. Sie machte
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