Goldhort: Ein Mystery-Thriller (German Edition)
sind das wieder, dachte ich kopfschüttelnd. Noch währenddessen hatte ich für einen kurzen Moment den Eindruck, als würde die Puppe mir zuzwinkern, was ich aber einer optischen Täuschung infolge der Kopfbewegung zuschrieb. Doch um so aufmerksamer betrachtete ich das Gesicht und ich konnte nicht glauben, was ich sah – kleine Bluttropfen quollen aus Mund und Augen der Figur hervor. Erschrocken schleuderte ich sie auf den robusten Dielenboden, als könnte es mir bei Berührung etwas Schreckliches antun, und mir war, als würde ich ein kummervolles Ächzen hören, welches keinesfalls das alterschwache Holz verursacht hatte. „Oh mein Gott!“, stöhnte ich und stürzte zur Tür hinaus.
Auf mein rigoroses Trommeln mit den Fäusten hin öffnete mir Raik – unerklärlicherweise in Pyjamahosen und Socken, wie ich im Bruchteil einer Sekunde wahrnahm, doch dies interessierte mich im Moment nicht. Stattdessen warf ich mich an seine starke Brust und schniefte immer wieder: „Jetzt geht es hier los. Es hat begonnen.“
Beruhigend redete er auf mich ein und fragte schließlich, was begonnen hätte.
„Sieh doch selbst. Christine hat recht gehabt. Es holt mich überall ein.“ Ich griff seine Hand und zog ihn hinter mir her, während ich in meinem Schrecken überhaupt nicht mehr aufhören konnte zu plappern und alles eben Gesagte ständig zu wiederholen. Nur mit Mühe gelang es Raik ein fragendes „Wovon redest du eigentlich?“ einzuwerfen, das ich aber vollständig überhörte, während ich aufschluchzend das Gesicht in meinen Händen barg. Raiks Blicken entnahm ich, dass er an meiner Zurechnungsfähigkeit zweifelte und mein wirres Gerede bedachte er mit verärgertem Schweigen.
Im Turmzimmer angekommen zerrte ich ihn zu der Stelle, wohin ich die Puppe geworfen hatte. Diese war nirgends zu sehen, aber ein Fleck schwarzer Flüssigkeit versickerte langsam in den Ritzen des Dielenbodens.
„Da schau, das Blut!“
„Du spinnst ja!“, entgegnete Raik, „Kippst hier irgendwas aus und spielst deshalb verrückt.“
Ich hörte ihm gar nicht zu, sondern sagte aufgeregt, dass die Puppe verschwunden sei. Dabei schlich ich gebückt umher und schaute unter alle Schränke und Tische. Vielleicht war sie irgendwo hinuntergerollt? Aber sie blieb spurlos verschwunden, ebenso wie damals ihr lebender Doppelgänger.
„Was für eine Puppe denn?“, meinte Raik ungehalten. Mit einem Mal gewann ich meine Fassung wieder und wurde sehr ruhig.
„Erinnerst du dich an die Puppe, die ich dir einmal in der Wohnung zeigte?“
„DIE Puppe?“ Raik hatte es. „Und deshalb rennst du hier wie ein aufgeschrecktes Huhn umher?“
Ungeduldig schüttelte ich den Kopf und begann von vorne. Ich berichtete alles, was ich gesehen und gehört hatte. Es war unschwer zu erkennen, dass Raik hin- und hergerissen war, ob er mir glauben oder mich für geisteskrank halten sollte. Aber das war mir fürs Erste egal. Er griff ein Papiertaschentuch und tunkte es in den Fleck auf den Dielen. Ein blutiges Rot breitete sich in den Falten aus.
Verunsichert blickte sich Raik um und auch ich betrachtete das Zimmer mit neu gewonnener Ruhe. Das Feuer im Kamin war verloschen. Eine unangenehme Kälte machte sich bemerkbar, und ich fröstelte, fühlte mich gleichzeitig aber erhitzt.
Und dann nahm ich den Lampenschirm wahr. Es bestand aus grünem Glas in bauchiger Form und ein breiter Riss durchzog ihn bis fast zur Spitze, welcher vorhin noch nicht da gewesen war. Ängstlich näherte ich mich ihm und fuhr vorsichtig mit der Fingerspitze über die kühle Oberfläche. Im gleichen Moment stürzte er in sich zusammen, grüne Scherben zu meinen Füßen. Auch an meinen Beteuerungen, dass ich mit der Lampe nichts angestellt hatte, zweifelte Raik. Ich konnte mir die Sache nur so erklären, dass die Lampe bei dem Aufprall der Puppe auf dem Boden gelitten hatte, fand das aber insgeheim ebenso unwahrscheinlich wie mein Begleiter.
„Ich muss Christine anrufen“, sagte ich unvermittelt.
„Lass das lieber“, widersprach Raik, „weißt du, wie spät es ist?“
„Außerdem hast du ja mich“, setzte er etwas bissig hinzu. Daran, dass ein Mann nicht die beste Freundin ersetzt, würde er sich erst noch gewöhnen müssen, so viel war klar.
Zwei Tage später kam Christine – meinen Anruf hatte sie zum Anlass genommen, die ausgesprochene Einladung anzunehmen – und mit ihr kam das Gold des Herbstes. Von mir und Rudi abgeholt, war sie augenscheinlich beeindruckt von der
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