Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
konnte ich meine Schwangerschaft nicht mehr verheimlichen. Ich war ungefähr im fünften Monat, als er mich darauf ansprach. Und dann habe ich ihm erzählt, dass ich ein Baby bekomme. Er war total aus dem Häuschen vor Glück und ich habe es einfach nicht gewagt, ihm die Wahrheit zu erzählen. Ich habe Franz gesagt, das Kind sei von ihm.«
»Hat er denn keinen Verdacht geschöpft?«, fragte Kroll irritiert. »Immerhin hatten Sie sich in den letzten Monaten ja nicht gesehen.«
»Es war ja nicht so, dass wir in den letzten Monaten überhaupt keinen Kontakt hatten. Vielleicht zwei, drei Mal im Monat hatte er schon Zeit für mich und ab und zu haben wir dann auch miteinander geschlafen. Er hatte sicherlich Wichtigeres im Kopf, als sich diese Termine zu merken. Außerdem hat er mir vertraut.«
In Heidi Fleischers Augen sammelten sich Tränen. Anja ergriff ihre Hand, die auf dem Tischtuch Kreise malte. »Ich glaube, niemand kann sich vorstellen, was ich durchgemacht habe. Als ich im sechsten Monat war, hat er mir einen Heiratsantrag gemacht. Ich war so glücklich und gleichzeitig so verzweifelt. Ich habe Franz vorgelogen, ich müsse die Schwangerschaft abbrechen, weil das Kind ein Down-Syndrom habe. Aber er bestand auf eine Untersuchung durch einen zweiten Arzt. Einen Monat später haben wir geheiratet, im kleinen Kreis. Die große Feier wollten wir nach der Geburt nachholen.«
Heidi Fleischer machte eine Pause und holte tief Luft. Sie sah sich im Raum um, um den sich ankündigenden Tränenausbruch in den Griff zu bekommen. Ihr Make-up war verwischt. »Die Situation war letzten Endes auch der Grund für das Scheitern unserer Ehe. Ich konnte es einfach nicht ertragen, mit einem Mann zusammenzuleben, den ich so böse hintergangen hatte. Er war der beste Ehemann der Welt. Er hat mich auf Händen getragen und ich habe ihn belogen. Wenn wir miteinander geschlafen hatten, fing ich auf einmal völlig unmotiviert an zu heulen. Können Sie sich vorstellen, wie das bei einem Mann ankommt, vor allem, wenn Sie keine Erklärung liefern können?«
Sie musste sich erneut sammeln. »Die Geschichte stand immer zwischen uns, jeden Tag, jede Stunde, und nur ich war diejenige, die die Gründe kannte. Irgendwann war dann sogar Franz’ Geduld erschöpft. Als es gar nicht mehr anders ging, haben wir uns dann getrennt und wurden schließlich geschieden. Ich glaube, seine Auslandsaufenthalte hat er nur gemacht, um Abstand zu gewinnen.«
Sie sah Kroll und Anja wieder an. Ihre Geschichte war zu Ende.
»Wäre es nicht einfacher gewesen, reinen Tisch zu machen?«, fragte Anja, bemüht, nicht vorwurfsvoll zu klingen.
»Das habe ich mich auch schon oft gefragt. War ich zu feige? Habe ich zu lange gewartet? Die Geschichte hatte irgendwann eine eigene Dynamik entwickelt, die ich nicht mehr aufhalten konnte. Wie ein Strudel, der einen unaufhörlich nach unten zieht. Glauben Sie mir. Es ging dabei nicht um mich. Ich hatte mir die Sache eingebrockt und ich hätte auch die Suppe ausgelöffelt, so bitter sie auch war. Aber da waren doch noch Franz und vor allem Ludwig. Ich hatte einem Vater den Sohn genommen und einem Sohn den Vater. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Es entstand eine Pause, weil die letzte Frage unbeantwortet verhallte.
Kroll beschloss, vorsichtig zum Tagesgeschäft zurückzukommen. »Frau Fleischer, ich möchte mich zunächst bedanken, dass Sie sich uns anvertraut haben. Das ist nicht nur so dahergesagt, ich weiß, das war nicht einfach für Sie. Ich denke, wir sollten jetzt einmal zusammen überlegen, wie wir weiter vorgehen.«
Heidi Fleischer wischte sich die Tränen mit einem Taschentuch ab. Sie schien erleichtert zu sein, dass sie ihre Geschichte jemandem hatte erzählen können, vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben. »Danke.«
»Sie haben uns um Vertraulichkeit gebeten und wir haben Ihnen versprochen, dass wir uns auch entsprechend verhalten. Aber im Vordergrund steht jetzt Ludwig. Wir nehmen die Ereignisse der letzten Tage sehr ernst und sind bereit, von unserer Seite her alles zu tun, um ihn zu beschützen. Aus polizeilicher Sicht müssten wir Ludwig ab sofort Personenschutz geben und eine Fahndung nach seinem biologischen Vater veranlassen. Und ich persönlich halte die Maßnahmen nicht für übertrieben.«
»Wie viel Zeit habe ich?«, fragte Heidi Fleischer verunsichert.
Kroll überlegte einen Moment. »Ich müsste die erforderlichen Schritte sofort veranlassen. Das ist kein Problem. An einem Samstag haben wir nur
Weitere Kostenlose Bücher