Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
wundervollen Morgen und erwischte sich bei dem Gedanken, dass er dem Anrufer dankbar war, dass er nicht schon eine Stunde früher angerufen hatte.
Anja lächelte ihn Entschuldigung heischend an, gab ihm noch einen Kuss im Gehen und nahm den Hörer ab.
Kroll hatte sich eigentlich vorgenommen, während des Telefonates unter die Dusche zu gehen, Anjas förmlichem Tonfall war jedoch anzumerken, dass keine gute Freundin angerufen hatte, wie er zunächst vermutet hatte. Er suchte Anjas Blick, und sie gab ihm mit weiten Augen und ernster Miene zu verstehen, dass der Anruf alles andere als eine Plauderei unter alten Freundinnen war.
Kroll ging zu ihr und versuchte, mehr über das Telefonat zu erfahren.
»Zunächst finde ich es richtig, dass Sie sich gemeldet haben, ich denke, die Information ist sehr wichtig … Nein, natürlich kann ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass die Sache geheim bleibt … , aber dieser Kommissar Kroll tut sicher sein Möglichstes, ich denke, wir sollten … «
Anja wurde von der Anruferin unterbrochen. Sie machte ein angestrengtes Gesicht. »Nein, ich halte es für keine gute Idee, die Sache abzublasen. Wer soll denn die Verantwortung übernehmen, wenn tatsächlich etwas passiert? Und haben Sie mal an Ihren Jungen gedacht? Vielleicht wird es auch langsam Zeit, ihm reinen Wein einzuschenken. Ich glaube, er hat ein Recht zu erfahren, wer sein richtiger Vater ist.«
Die Anruferin machte eine Pause. Offensichtlich schien sie über Anjas letzte Worte nachzudenken. Kroll zeigte Anja den gehobenen Daumen, um ihr zu signalisieren, dass er mit ihrer Argumentation einverstanden war.
Er hörte, dass die Anruferin weiterredete. Anja wickelte die Telefonschnur um ihren Zeigefinger und hörte konzentriert zu. »Ich kann Sie wirklich gut verstehen … Natürlich ist das auch für Sie keine leichte Entscheidung … Ich weiß auch nicht, wie Ihr Sohn reagieren wird, aber ich kenne ihn recht genau. Er ist ein guter Junge und er liebt Sie über alles. Ich bin mir ganz sicher, dass Ihr Verhältnis zu Ihrem Kind nicht unüberbrückbar zerstört wird.«
Wieder entstand eine Pause. »Ich denke, Sie hatten bestimmt Ihre Gründe, warum Sie damals so gehandelt haben … Garantieren kann ich Ihnen natürlich nichts, es ist nur meine ehrliche Einschätzung.«
Anja sah Kroll hilflos an. »Ich mache Ihnen jetzt mal einen Vorschlag. Ich setze mich mit diesem Kommissar Kroll in Verbindung und frage ihn, ob er zu einem ganz zwanglosen Gespräch bereit ist, heute Mittag in einem Café oder so. Ich werde natürlich keine Namen nennen. Vielleicht kann der Kommissar die ganze Sache irgendwie außerhalb des Protokolls behandeln. Ich melde mich dann wieder, okay?«
Kurze Zeit später legte Anja auf.
»Wer war’s?«, fragte Kroll direkt.
»Du hast doch gehört, dass ich der Anruferin strikte Diskretion zugesagt habe«, antwortete Anja, wobei Kroll nicht wirklich wusste, ob sie das ernst meinte oder ihn nur ein wenig auf die Folter spannen wollte.
»Komm schon, Anja. Du weißt doch, dass du mir das erzählen musst.«
Anja überlegte einen Moment. Sie biss sich auf die Unterlippe. »Heidi Fleischer.«
»Das hätte ich jetzt nicht vermutet«, war Kroll überrascht. »Als Wiggins und ich bei ihr waren, war sie ziemlich souverän.«
»Ist sie aber nicht. Sie steht jetzt zwischen allen ihren Männern. In erster Linie macht sie sich natürlich über Ludwig Gedanken. Dann sind da noch der richtige Vater des Kindes und natürlich der ehrenwerte Herr Dr. Fleischer und nicht zuletzt ihr jetziger Lebensgefährte. Sie sitzt zwischen allen Stühlen. Sie ist absolut fertig. Weiß überhaupt nicht, was sie machen soll. Deshalb hat sie sich auch an mich gewandt.«
»Moment, einen Moment mal«, versuchte Kroll, sich zu sammeln. »Das heißt dann ja, dass Dr. Fleischer gar nicht der leibliche Vater von Ludwig ist.« Er schüttelte den Kopf. »Darauf wäre ich jetzt nicht gekommen.«
»Ich auch nicht«, gab ihm Anja recht.
Kroll legte seinen Arm um sie. »Das hast du ganz toll gemacht.«
»Was unternehmen wir jetzt?«
»Das Wichtigste ist, dass wir rund um die Uhr auf Ludwig aufpassen. Das hat absolute Priorität.Dem Jungen darf auf keinen Fall etwas passieren.«
»Und wie stellst du dir das vor?«
»Wir müssen Ludwig aus der Schusslinie nehmen. Er darf unter keinen Umständen mit seinem leiblichen Vater in Kontakt kommen.«
»Das ist leicht gesagt«, stöhnte Anja. »Wir wissen doch noch gar nicht, wer sein leiblicher
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