Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
auch entdeckt werden. Aber das war nun eher Zufall. Die Geschichte kennt doch kaum jemand.«
»Immerhin hat uns der Täter selbst auf die Spur mit der Sage gebracht«, konterte Kroll.
»Aber vielleicht war das doch nur ein Dummer-Jungen-Streich«, blieb der Vater hartnäckig.
»Ich bin mir ganz sicher, dass wir hier nicht über harmlose Jungenstreiche reden«, entgegnete Kroll bestimmt und drehte sich demonstrativ in eine andere Richtung.
An eine geordnete Diskussion war jetzt nicht mehr zu denken. »Ist das nicht alles eine heillose Übertreibung mit den Kuckuckskindern?«, rief wieder ein Vater.
»Von wegen, mein Guter!«, ereiferte sich eine Frau in einem ausladenden violetten Kleid. »Zehn Prozent aller Kinder sind Kuckuckskinder. Das sagt die Statistik!«
Wieder stieg der Geräuschpegel an, als eine lebhafte Diskussion entbrannte, die Kroll nur durch mehrmaliges Bitten um Ruhe wieder einfangen konnte. »Wir sollten versuchen, die ganze Unterredung sachlich fortzuführen. Wir können sehr gut verstehen, dass Sie das Ganze sehr bewegt. Aber es macht keinen Sinn, dass jetzt alle durcheinanderreden. So kommen wir doch nicht weiter.«
Kroll nippte an seinem Wasserglas und ließ den Blick über die Reihen der Eltern schweifen. Langsam schienen sich alle wieder zu beruhigen. »Die Statistik mit den zehn Prozent ist mir auch bekannt. Aber diese Zahlen sind nicht beweisbar. Ich habe zufällig gestern in der Zeitung gelesen, dass nach neueren Erkenntnissen nur ungefähr ein Prozent der Kinder in Deutschland Kuckuckskinder sind.«
Einer der Anwesenden hatte offensichtlich ein Handy mit Internetzugang. »In Deutschland leben zurzeit 13,5 Millionen minderjährige Kinder. Bei einer Quote von einem Prozent macht das immerhin 135.000!«, brüllte er los.
»Oder einen im Thomanerchor!«, rief jemand, worauf schallendes Gelächter ausbrach.
Kroll war froh, dass sich die aufgeladene Situation entspannte. Er nutzte die relative Ruhe, um auf sein eigentliches Anliegen zu kommen. »Ich wende mich jetzt bewusst an die Mütter, die hier im Raum sind. Es ist für uns wichtig, dass wir wissen, wer das sogenannte Kuckuckskind ist. Bitte … , ich weiß, dass es für die betroffene Person nicht einfach ist, aber Sie müssen uns jetzt helfen.« Er stand auf und verteilte vorbereitete Zettel im Auditorium. »Ich möchte nochmals an Ihre Mithilfe appellieren. Auf den Zetteln steht meine Handynummer drauf. Sie können mich Tag und Nacht anrufen. Selbstverständlich sichern wir Ihnen die größtmögliche Diskretion zu.«
Samstagmorgen
Der Morgen erwachte im strahlenden Sonnenlicht. Keine Wolke versperrte den Blick auf den blauen Himmel. Die Wettervorhersage hatte gestern bestimmt von einem ausgeprägten Hochdruckeinfluss gesprochen. Anja hatte, wie immer, die Vorhänge in ihrem Schlafzimmer nicht zugezogen, sodass die ersten Sonnenstrahlen den Raum mit einem warmen Licht durchfluteten. Sie lag mit dem Rücken zum Fenster, das obere Ende der Bettdecke hatte sie unter ihren Kopf gelegt, der restliche Teil schlängelte sich um ihren nackten Körper, wobei ein Bein auf und das andere unter der Decke lag.
Kroll lag neben ihr, den Kopf auf den angewinkelten Arm gestützt. Er sah sie an und wartete nur, bis sie aufwachen würde. Wann hatte er zuletzt so einen Morgen erlebt? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Aber bevor sein Kopf sich ernsthaft mit dieser Frage beschäftigen konnte, verscheuchte er die Gedanken schnell, er wollte einfach nur die Gegenwart genießen und nicht in der Vergangenheit herumstochern.
Anja rümpfte die Nase und drehte ihren Kopf kurz ins Kissen. Er dachte, sie würde aufwachen, aber an dem ruhigen und gleichmäßigen Atmen erkannte er, dass sie weiterschlief. Er bewegte sich nicht, verharrte in seiner Stellung und sah sie einfach nur an. ›I want you to be, the first thing that I see … ‹, erklang eine ihm bekannte Melodie in seinen Gedanken, von welchem Interpreten sie war, wusste er nicht mehr.
Anja blinzelte ein paar Mal, dann öffnete sie langsam die Augen. Ihr erster Blick traf Kroll. Sie streifte eine lange Haarsträhne aus ihrem Gesicht und lächelte. Dann zog sie Kroll zu sich und gab ihm einen langen Kuss. Während sie sich umarmten, hob sie die Bettdecke an und legte sie langsam über Kroll. Er schmiegte sich an sie, ihre Körper berührten sich und Kroll spürte, wie ihm immer wärmer wurde.
Als Anjas Handy klingelte, saßen sie schon in der kleinen Küche und frühstückten. Kroll dachte an den
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