Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
Vater ist. Sie will die ganze Geschichte nicht an die große Glocke hängen und ich kann das gut verstehen. Bitte … , sie vertraut mir.«
Kroll dachte einen Moment nach. »Ruf sie an. Wir treffen uns in einer Stunde in dem Café gegenüber der Thomaskirche. Sie soll dafür sorgen, dass Ludwig auf keinen Fall das Haus verlässt. Lass uns erst mal mit ihr reden. Dann sehen wir schon weiter.«
Er nahm sein Handy in die Hand. »Wiggins wird sicherheitshalber vor dem Haus warten.«
Kroll und Anja hatten bereits in dem Café Platz genommen, als Heidi Fleischer hereinkam. Sie hatte sich seit der letzten Begegnung mit Kroll und Wiggins in ihrem Haus nicht verändert, zumindest äußerlich. Dies konnte aber auch daran liegen, dass sie es äußerst geschickt verstand, sich dezent zu schminken. Nachdem sie Kroll und Anja begrüßt hatte, setzte sie sich zu ihnen an den Tisch. »Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.« Sie sah Kroll mit einem verzweifelten Blick an. »Können Sie mir versprechen, dass Sie das, was ich Ihnen jetzt erzähle, vertraulich behandeln … , zumindest, bis ich mit Ludwig gesprochen habe?«
Kroll nickte. Als die Bedienung kam, bestellte sie sich einen grünen Tee.
Anja sah sie mitfühlend an. »Am besten, Sie erzählen uns die ganze Geschichte von Anfang an.«
»Alles begann während des Studiums. Wir haben beide in München studiert, ich Literatur-und Theaterwissenschaften, Franz Jura und BWL. Wir haben uns auf einer Studentenparty kennengelernt.« Sie lächelte. »Es war Liebe auf den ersten Blick. Er war so ganz anders als die Männer, die ich vor ihm getroffen hatte. Er sah gut aus, er war intelligent und sportlich und vor allem, er war sehr höflich und zurückhaltend, nicht so ein Draufgänger. Ich hatte das Gefühl, dass alle Frauen auf der Party ihn anhimmelten, aber er interessierte sich nur für mich. Warum, ist mir bis heute nicht klar.«
Die Bedienung stellte den Tee auf den Tisch.
»Wir führten eine gute Beziehung, obwohl wir eigentlich so verschieden waren und auch so unterschiedliche Freunde hatten, ich mit meinen Theaterleuten und er mit seinen zukünftigen Schlipsträgern. Aber das machte uns nichts aus. Er kam sogar bei meinen Freunden gut an, was mich selbst überraschte.«
Heidi Fleischer nippte nachdenklich an ihrem Tee. »Dann machte er seine Examen und hatte wenig Zeit für mich. Ich war zu blöd zu kapieren, dass es in dieser Zeit etwas Wichtigeres gab als unsere Beziehung und dass es nur vorübergehend war. Und dass er unmenschlichen Stress hatte. Das war so egoistisch von mir«, wiederholte sie. »Ich dachte, er würde sich nicht mehr für mich interessieren und dass sowieso alles aus wäre.«
»Und dann ist es passiert«, sagte Anja leise.
Heidi Fleischer nickte. »Es war an einem Samstagabend. Ich hatte ihn angerufen und gebeten, mit auf die Geburtstagsfeier einer Freundin zu kommen. Aber er hatte mal wieder keine Zeit für mich. Wieder mal! Zum hundertsten Mal! Ich war einfach nur sauer und frustriert. Für mich war an diesem Abend definitiv alles beendet. Auf dieser Feier habe ich dann viel zu viel getrunken, das war eigentlich nicht meine Art, aber ich war einfach nur fertig. Und dann war da dieser Kommilitone. Er hat sich den ganzen Abend um mich gekümmert und irgendwie bin ich dann in seinem Bett gelandet.«
Sie lächelte freudlos. »Schon am nächsten Morgen kam ich mir absolut beschissen vor, so wie noch nie vorher in meinem Leben.«
Sie sah Kroll und Anja an und wartete vergeblich auf eine Reaktion. »Dann ging es mir wie vermutlich allen Frauen in so einer Situation. Ich kam mir vor wie in einem falschen Film. Man hofft inständig, dass nichts passiert ist. Dann blieb die Periode aus und ich habe immer noch gehofft. Als auch die nächste Periode nicht kam, bin ich zum Arzt gegangen, und dann hatte ich die traurige Gewissheit. Noch am selben Abend stand Franz vor meiner Tür. Mit einem riesigen Blumenstrauß. Daran hing ein großer Zettel, auf dem stand: ›Bitte verzeih mir‹. Er hatte den größten Prüfungsstress hinter sich gebracht und gab mir zu verstehen, dass er wieder Zeit für mich hatte. Jetzt kam ich mir natürlich noch schlechter vor, aber ich ließ es mir nicht anmerken.«
Die Erinnerungen schienen Heidi Fleischer wieder in die Vergangenheit zu versetzen. Zwischen ihren Augenbrauen bildete sich eine tiefe Falte. Ihr Lippenstift hatte sich durch das häufige Befeuchten mit der Zunge schon verwischt. »Irgendwann
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