Goldkehlchen: Kriminalroman (German Edition)
eigentlich unser Leierkastenmann, ›Hochwürden‹. Aber den haben wir ja eingebuchtet.«
Kroll schaute weiter auf die Villa. Er hing seinen Gedanken nach.
»Was machen wir jetzt?«, versuchte Wiggins, Krolls Aufmerksamkeit zu gewinnen.
Kroll sah weiter aus dem Fenster. »Nichts. Wir haben doch Wochenende.«
»Meinst du das ernst?«
»Warum nicht? Dr. Fleischer krümmt Ludwig doch kein Haar. Die fahren wahrscheinlich gerade in irgendeinem Freizeitpark Achterbahn.«
»Warum veranstaltet Dr. Fleischer das alles? Ich meine, die Sache mit den Lilien und Johannes war ja auch nicht so ganz unkompliziert.«
»Aber nicht strafbar. Es ist nicht verboten, geknickte Blumen in eine Kirche zu legen. Und Johannes? Was hat er gemacht? Die Klamotten hat Johannes wiederbekommen, also nicht einmal Diebstahl. Vielleicht Nötigung, aber das muss dann wahrscheinlich ZZ Top auf seine Kappe nehmen.«
»Aber warum?«, wiederholte Wiggins seine Frage.
Kroll sah Wiggins jetzt an. »Naheliegend ist natürlich der Unterhalt. Dr. Fleischer hat über zehn Jahre für ein Kind Unterhalt gezahlt, wozu er nicht verpflichtet war. Da kommt ein hübsches Sümmchen zusammen.« Kroll massierte sich die Schläfen. Er wirkte müde. »Aber die Kohle ist sicherlich nicht der Hauptgrund. Ich glaube, dass diese Sache auch den angeblichen Vater belastet. Das ist doch auch für ihn eine beschissene Situation. Der Umgang mit Ludwig hat doch immer so was von Täuschung an sich. Er gibt jetzt vor, der Vater zu sein, obwohl er es gar nicht ist. Das hält doch keiner auf Dauer durch. Ich glaube, er will endlich reinen Tisch machen oder, besser gesagt, er will, dass die Mutter jetzt reinen Tisch macht.«
»Die Arschkarte hat Ludwig«, bemerkte Wiggins lakonisch.
»Ich glaube, du kannst so eine Situation nur meistern, wenn alle Beteiligten vernünftig sind. Und das hoffe ich einfach mal. Der Fleischer wird sich auch weiter um Ludwig kümmern. Da bin ich mir ganz sicher. Und Ludwig ist alt genug, die Wahrheit zu ertragen. Ich glaube, die beiden brauchen sich auch gegenseitig.«
Wiggins klopfte sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel. »Also Wochenende.«
Kroll ließ den Motor an. »Lass uns noch kurz bei Dr. Fleischer vorbeifahren. Liegt eh auf dem Weg zu mir.«
Auch nach dreimaligem Klingeln öffnete Dr. Fleischer nicht seine Wohnungstür. Die Polizisten wollten gerade wieder gehen, als er in Joggingkleidung um die Straßenecke bog. Er sah die Kommissare erstaunt an. »Nanu? Immer noch im Einsatz? Sie haben wohl nie Wochenende?«
»Dürfen wir einen Moment mit hochkommen?«, fragte Kroll.
Dr. Fleischer zögerte einen Augenblick. »Ich wollte eigentlich jetzt duschen.«
»Es dauert wirklich nur ein paar Minuten«, versicherte Kroll. »Es geht um Ludwig. Wir machen uns ein wenig Sorgen.«
Dr. Fleischer nickte und schloss die Tür auf.
Als sie in der Wohnung angekommen waren, bot er ihnen Wasser oder Kaffee an. Die Polizisten lehnten dankend ab. Dr. Fleischer holte sich eine Flasche Wasser aus der Küche und setzte sich auf die Lehne des Sessels im Wohnzimmer. »Also, meine Herren. Was kann ich für Sie tun?«
»Wissen Sie, wo Ludwig ist?«, stellte Kroll eine Gegenfrage.
»Ist Ludwig nicht bei seiner Mutter?«
»Nein, er ist nicht bei seiner Mutter. Er hat das Haus gegen Mittag verlassen und niemandem erzählt, wo er hinfährt«, erläuterte Wiggins.
Dr. Fleischer setzte die Wasserflasche ab und unterdrückte gekonnt ein Aufstoßen. Er lächelte. »Aber ich bitte Sie, meine Herren. Machen Sie sich wirklich Sorgen? Der Junge ist 14. Wir haben nicht einmal Abend. Haben Sie in diesem Alter Ihren Eltern immer erzählt, was Sie treiben?«
»Die Ereignisse der letzten Tage scheinen Sie nicht zu beunruhigen«, stellte Wiggins trocken fest.
Dr. Fleischer schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, nein. Es ist doch auch nichts wirklich Schlimmes passiert. Ich glaube einfach nicht, dass Ludwig in Gefahr ist.«
»Ich glaube Ihnen gern, dass Sie sich da ganz sicher sein können, Herr Dr. Fleischer. Gerade Sie haben keinen Grund, beunruhigt zu sein«, versuchte Kroll, sein Gegenüber zu provozieren.
Dr. Fleischer gab vor, ahnungslos zu sein. »Wie meinen Sie das?«
»Wir wissen, dass die letzten beiden Aktionen, also die Lilien in der Thomaskirche und die Sache mit dem Johannes, auf Ihre Kappe gehen.«
Dr. Fleischer stand auf und sah Kroll fest in die Augen. Er blieb dennoch gelassen. »Das sind ja ungeheuerliche Vorwürfe. Ich hoffe, das können
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