Goldmacher (German Edition)
laut.
»Nicht so laut!«, mahnte Rosi.
»Ich habe ihr die Hand geküsst«, sagte Anton, nahm sein Glas und einen kräftigen Schluck, der Wein schmeckte säuerlich. Er trank schon seit Jahren keine Spätlese mehr, in diesem Augenblick jedoch hätte er lieber den süßen Wein seiner frühen Jugend getrunken, der ihn, trank er ihn in Maßen, beschwingte, ganz im Gegensatz etwa zu dem säuerlichen Riesling in seinem Glas. Ein wenig Beschwingtheit könnte jetzt hilfreich sein, und Hilfe hätte er, das spürte er deutlich, gut gebrauchen können. Er wusste nicht, wie er diesen Abend, nein, wie er und Paula ihn überstehen sollten.
»Nun sag schon«, forderte Paula leiser, »wem hast du die Hand geküsst?« Sie starrte Anton an.
»Ich weiß nicht, wie sie heißt«, sagte Anton.
»Sie heißt Sissi«, assistierte Rosi.
»Sissi! Du lieber Gott!«, stöhnte Paula auf, »ausgerechnet!«
Sie nahm die Gabel wieder auf und stocherte aufgebracht in ihrem Essen herum, Anton mochte sie nicht länger ansehen, er sah verändert aus, und auch wenn sie es nicht erklären konnte, sie fürchtete, nein, sie wusste, dass etwas geschehen war, was alles verändern, ihr ganzes bisheriges Leben mit ihm verändern würde.
Sie schob sich einen Bissen in den Mund, besann sich, legte die Gabel wieder beiseite, nahm das Glas, trank den Rest und schaute sich sofort nach der Bedienung um, der Kellner sollte das leere Glas umgehend wieder füllen.
»Du hast also der Sissi die Hand geküsst? Wenn ich mir das erlaubt hätte, ich hätte bereits blutige Spuren von Rosis Fingernägeln im Gesicht.« Franz lachte, er hatte weder Antons Veränderung noch Paulas Reaktion darauf bemerkt, er hielt Rosis Behauptung eigentlich für einen Scherz.
»Wegen der Sissi doch nicht«, sagte Rosi und lachte nun auch, »sie ist doch noch ein halbes Kind!«
»Wer ist sie denn, diese Sissi, wo sitzt sie denn?«, fragte Paula möglichst unaufgeregt und schaute sich um.
»Ich sehe keine, die einen Handkuss verdient hätte«, behauptete sie nach einem ausgiebigen Rundblick, von dem sie sich auch durch Rosi nicht abhalten ließ, und schlug nun mit dem Löffel gegen ihr leeres Glas, um endlich die Aufmerksamkeit der Bedienung auf sich zu lenken. Die eilte auch sofort herbei und schenkte nach.
»Die Sissi ist die Tochter unseres stadtbekannten Herzspezialisten und sitzt mit ihrem Vater und dem kleinen Bruder zwei Tische entfernt neben uns«, gab Franz arglos preis.
Paula reckte sich, richtete sich noch höher auf, um noch ein wenig mehr von oben auf den entfernten Tisch herabblicken zu können. Wenn etwas sie beunruhigte, dann wünschte sie, sich erst denen in ihrer unmittelbaren Umgebung, dann der weiteren Umgebung und irgendwann schließlich einem beträchtlichen Teil der gesamten Menschheit überlegen zu fühlen. Was ihr allerdings nur mit etlichen Gläsern Wein oder mehreren Piccolos gelang.
Paula erhob ihr Glas: »Auf das Töchterchen des Herzspezialisten!«, rief sie.
»Nicht so laut«, mahnte Rosi wieder.
»Auf uns«, sagte Paula leise zu Anton und leerte das Glas in einem Zug.
»Ihr entschuldigt mich«, sagte sie schließlich, stand auf und machte sich, noch einigermaßen gefasst, auf den Weg zu den Toiletten. Im mit blumengemusterten Tapeten bespannten Vorraum setzte sie sich in einen der Plüschsessel und starrte sich im Spiegel an, dann bestellte sie zwei Piccolos, begann, ihr Make-up zu verändern, und unterhielt sich dabei mit der Toilettenfrau.
Währenddessen wurde im Festsaal das Dessert serviert, gleichzeitig betraten ein Herr im Frack und eine Dame in großer Robe die Bühne. Der Herr setzte sich an den Flügel, die Dame lehnte sich daran. Sie sang, von dem Herrn am Flügel begleitet: »Du, du, du sollst der Kaiser meiner Seele sein. Du, du, du sollst den Purpur tragen ganz allein.«
Sie breitete, während sie sang, die Arme aus, verdrehte die Augen, legte eine Hand leicht aufs Herz, beugte sich ebenso leicht zum Publikum vor und lächelte hin und wieder zum Pianisten.
»Original österreichisches Schmalzgebäck«, meinte Franz zu Anton, der nicht reagierte, er war in Gedanken ganz woanders. Bei der zweiten Wiederholung des Refrains fühlte sich Franz aufgefordert mitzusingen und entlockte Rosi ein Lächeln, als er sich ihr zuwandte und ähnlich wie die Sängerin eine Hand aufs Herz legte und in leichter Abwandlung sang: »Du, du, du sollst die Kaiserin meiner Seele sein.«
Anton ergriff die Gelegenheit, schnappte sich erneut die Minox, die auf
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