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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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verschlossen im Schreibtisch des Vaters lag.
    Anton fixierte das Schubfach und fand, der Vater übertreibe mit seiner Vorsicht. Er würde seine Recherchen weiter vorantreiben und sie nicht nur im Kopf archivieren, sondern in seinen eigens für die Recherchen angelegten kleinen Notizheften.
    »Wer ist dieser Thukydides, mit dem du dich so viel beschäftigst?«, unterbrach ihn der Vater in seinen Gedanken.
    »Ein griechischer Geschichtsschreiber«, sagte Anton und schwieg, mehr wollte er jetzt nicht über sein großes Vorbild preisgeben, er würde den Vater mit dessen Methode der Wahrheitsfindung nur beunruhigen.
    Ein paar Wochen darauf, es war eine wichtige Meldung angekündigt worden, saß er mit den Schwestern vor dem neu erworbenen Volksempfänger, und sie hörten den Führer, wie er im Zorn mit sich überschlagender Stimme schrie, dass ab heute zurückgeschossen werde. Anton meinte, im Hintergrund tatsächlich Schüsse und Kampflärm zu hören.
    »Jetzt ist er da, der große Krieg«, sagte der Vater am Abend und wechselte mit der Mutter einen ernsten tiefen Blick, wie ihn Anton zwischen den Eltern noch nie beobachtet hatte.
    Anton bat seinen Lehrer, die Chronik des Griechen noch einmal ausleihen zu dürfen, er wolle dessen Methoden studieren, gab er als Grund an. Auf eine weitere Nachfrage des Lehrers erklärte er, er wolle nach seinem Vorbild gleich von Beginn an den Krieg dokumentieren, den Deutschland jetzt führe, auch wenn es nur ein Blitzkrieg und kein langer großer Krieg wie der Peloponnesische Krieg sei. Da bemerkte er, wie der ihm sonst freundlich gesonnene Lehrer versteinerte und ihn mit strenger Miene zurechtwies: Athen wäre durch den Peloponnesischen Krieg untergegangen, Deutschland jedoch würde jetzt auferstehen. Den vorbeigehenden Mathematiklehrer grüßte er eilfertig mit Heil Hitler!, was Anton verwunderte, bisher hatte dieser Lehrer den Hitler-Gruß in der Regel überhört oder ihn nur recht ungenau erwidert.
    Nun dachte Anton doch noch einmal über den Rat des Vaters nach, seine detektivische Leidenschaft für die Wahrheit geheim zu halten. Und als kurz darauf alle Schüler über ihr Berufsziel befragt wurden und begeistert als Ingenieure oder als Architekten oder als soldatische Kämpfer am Bau des Tausendjährigen Reichs mitwirken wollten, verschwieg er den Chronisten nach dem Vorbild des großen Thukydides, der das Gewesene klar erkennen wollte, und damit auch das Künftige.
    »Ich werde Polizeipräsident«, sagte er stattdessen ganz entschieden.
    Alle in der Klasse lachten und machten sich lustig über ihn, er machte mit. So wurde aus der Not eine Tugend und Anton suchte vorerst die Wege zur Wahrheit nicht nach der Methode des Thukydides, sondern begann, den Komiker zu spielen.
    Sein ausgeprägtes Talent, Stimmen, vor allem auch Singstimmen, zu imitieren, half ihm dabei. Bisher hatte er damit vor allem seine Schwestern unterhalten und zu ihrem Vergnügen berühmte Interpreten von Opernarien nachgeahmt. Am besten gefiel es den Schwestern, wenn er die Lieder der Filmdiva Zarah Leander sang. Er übertrieb dann jede Eigenart der Sängerin, rollte das R noch mächtiger als die Leander und senkte seinen Tenor deutlich tiefer als die Diva ihre Altstimme.
    »Wir kamen von Süden und Norden mit Herzen so fremd und so stumm«, imitierte er die Diva dann das erste Mal auf einem bunten Abend eines HJ ler-Treffens der Ortsgruppe, den er mitgestalten sollte. Er löste damit großes Gelächter, aber auch Beifallsstürme aus. Sein Talent sprach sich herum, und er wurde öfter zu bunten Abenden eingeladen und aufgefordert, seine Imitationskünste darzubieten.
    Nur ein einziges Mal war sein Publikum nicht wie sonst begeistert: Als einfallsreicher Possenschreiber im Kasperletheaterstil wurde Anton in der Spielgruppe des Marionettentheaters der Schule sehr geschätzt, doch zu seinem Leidwesen bastelte die Gruppe die meiste Zeit an den Marionetten herum, die bei jedem Spieleinsatz kleinere und größere Beschädigungen erlitten, denn keiner der Spieler beherrschte die komplizierte Spieltechnik wirklich. Die Marionetten knickten häufig hässlich zusammen, ihre Fäden verfingen und verwirrten sich, rissen dann beim Entwirren oder gar beim Spiel.
    Während einer dieser Reparaturarbeiten fiel Anton aus purer Langeweile und Spiellaune die Sache mit dem großen Imitator ein. Ein bisschen schwarzer Filz als Oberlippenschnauzer und als Haarsträhne über der Stirn veränderte eine der männlichen Marionetten, einen

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