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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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Volkstanztänzer, so markant, dass Anton auf die Idee kam, ihn als Der große Imitator auftreten zu lassen. Er beschränkte sich dabei auf eine einzige Bewegung: Der Arm der Marionette flog wie beim Hitler-Gruß mit ausgestreckter Hand nach oben, fiel nach unten und flog sofort wieder nach oben. Diese Bewegung wiederholte er mehrfach und sang dazu mit der imitierten Altstimme der Filmdiva: »Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn, und dann werden tausend Märchen wahr.«
    Seine Mitspieler in der Marionettenspielgruppe lachten nicht wie sonst während seiner Zarah-Leander-Nachahmungen, keiner klatschte Beifall, im Gegenteil, sie sahen ihn mit versteinerten Mienen an.
    Anton beendete flugs seine Vorstellung und verwandelte die Marionette geschwind vom großen Imitator zurück in den Volkstanztänzer, der er zuvor gewesen war, er musste ja nur die winzigen Stückchen aus schwarzem Filz entfernen. Dennoch sollte das Ganze ein Nachspiel haben, einer aus der Gruppe hatte die Vorstellung gepetzt, und Anton wurde zum Schuldirektor zitiert, der eine Erklärung verlangte.
    Anton erinnerte sich an den Rat des Vaters, den der ihm an seinem zehnten Geburtstag in München nach dem Besuch beim Verlagsleiter gegeben hatte: Wenn er einmal in eine schwierige, vielleicht sogar gefährliche Lage gerate, solle er ununterbrochen reden, und das so lange, bis er sich herausgeredet hätte.
    Also sagte Anton, die Marionette sei immer wieder eingeknickt, Arm und Hand wären durch die Beschädigungen der Marionette in Disharmonie zueinander und zum Körper insgesamt geraten, eine Ähnlichkeit zu unserem Führer könne es allein aus diesem Grund nicht gegeben haben. Zudem sei ein Volkstanztänzer, den diese Marionette darstellen solle, mit dem Führer keinesfalls zu verwechseln, jede Ähnlichkeit des Volkstanztänzers könne ganz ausgeschlossen werden, zumal niemand, und gewiss auch nicht der Herr Direktor, behaupten wolle, der Führer sei ein Volkstanztänzer. Zum Beweis nahm Anton, der jetzt pausenlos davon erzählte, mit wie viel Arbeit die ständige Reparatur der Marionetten verbunden sei, den Volkstanztänzer, den er mitgebracht hatte, aus der Schachtel und führte alle seine Fertigkeiten vor, die eben recht eingeschränkt waren, was Anton ausgiebig kommentierte. Dabei kam es wieder zu besagter Armbewegung, die dem Deutschen Gruß glich, sodass ihn der Direktor schließlich äußerst verärgert unterbrach. Dank des Notabiturs, sagte er, würde Anton schon sehr bald Gelegenheit erhalten zu zeigen, ob er ein ausgemachter Schlingel sei oder ein anständiger deutscher Junge.
    Von da an wusste Anton, dass er sich vorbereiten und eine Strategie entwickeln musste, wenn er diesen Krieg überleben wollte. Er war schon längst kein Blitzkrieg mehr, war von Tag zu Tag ein immer größerer Krieg geworden, ein Weltkrieg, mit Bomben, die mitten in die Wohnviertel der Städte fielen, einmal schon ganz in die Nähe des eigenen Viertels.
    Tatsächlich ging dann alles noch schneller, als es auch der Schuldirektor vermuten konnte: Die Reifeprüfung wurde vorverlegt und Anton unmittelbar danach zum Wehrdienst eingezogen. Seine Ausbilder versuchten, den Geist bedingungsloser Unterwerfung an ihm auszubilden, er wurde gezwungen, mit einem Hocker auf dem Rücken über schlammigen Boden zu kriechen und danach so lange auf dem Hocker still zu stehen, bis er vor Erschöpfung in Ohnmacht fiel.
    Dann kam der Tag, an dem die Eltern ihren Sohn in der Uniform eines einfachen Soldaten zum Bahnhof brachten. Von Hannover aus sollte er mit Zwischenaufenthalt in München nach Italien reisen, dort dann von La Spezia aus übers Mittelmeer nach Nordafrika.
    Beim Abschied sah Anton, wie dem Vater eine Träne über die Wange lief. Das Gesicht der Mutter schien noch etwas grauer zu sein als sonst.
    »Du darfst nicht vom Glauben abfallen, sonst kehrst du nicht zurück«, gab sie ihrem Sohn mit auf den Weg.
    Anton umarmte sie: Nein, versicherte er ihr, er würde niemals vom Glauben abfallen, nicht von seinem Glauben. Er, Anton Bluhm, würde die Werke des Teufels zerstören, daran glaubte er fest.
    »Das ist doch alles nichts als ein großes Brimbamborium«, sagte er, um Vater und Mutter aufzumuntern, und zum ersten Mal huschte ein schalkhaft ironisches Lächeln über sein Gesicht.
    In München angekommen, erfuhr Anton an der Sammelstelle, dass für ihn der Transport nicht nach Italien, sondern an die russische Front weitergehen würde. Wieder erschien jenes Lächeln auf seinem

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