Goldmacher (German Edition)
Fräulein Mizzi die Vase mit dem Blumenschmuck genommen hatte, um sie vor sein Gedeck hinzustellen, weil er um Mitternacht Geburtstag hatte. Die Enttäuschung, dass es das Fräulein Mizzi nicht mehr gab, wurde noch größer.
Anton setzte sich. Gleich darauf trat der alte Kellner mit einer sehr schmalen Speisekarte in der Hand an seinen Tisch. Anton bestellte, ohne einen Blick in die Karte geworfen zu haben, Schweinebraten, dazu Kartoffelknödel und Rotkraut, ein Gericht, das sein Vater hier vor Jahren schon einmal genossen hatte, wie er dem Kellner verriet. Und ein Bier bestellte er dazu. Der Kellner schüttelte jedoch bedauernd den Kopf, er bot falschen Hasen, Kartoffeln und Krautsalat an. Auch das Bier sei gewiss nicht mehr mit dem von damals zu vergleichen, sagte er, »es gibt nur noch Dünnbier, neuerdings«.
»Ja, nichts ist mehr so wie früher«, pflichtete Anton ihm bei und wartete dann in gedämpfter Stimmung auf die Serviererin. Vielleicht könnte diese Serviererin seinen an Fräulein Mizzi gerichteten Liebeshunger wenn auch gewiss nicht stillen, so doch wenigstens durch ein bisschen Zuwendung mildern und damit die Leere in der Magengegend verschwinden lassen, die er bei der Vorstellung verspürte, morgen früh ohne ein Liebeserlebnis, an das er sich erinnern könnte, an die Front nach Russland aufbrechen zu müssen.
Mit sechs Maß Bier, drei in jeder Hand, kreiselte die Serviererin schließlich an allen Hindernissen vorbei vom großen Saal in die Stube, setzte drei Maß am ersten, zwei am zweiten und das letzte an seinem Tisch ab, verteilte erst danach die bedruckten viereckigen Bierdeckel und stellte die Krüge darauf, zuletzt seinen.
»Wohl bekomm’s«, sagte die Serviererin und lächelte Anton zu, es entging ihr nicht, wie er sie anstarrte. Zudem hatte ihr die Kollegin am Tresen längst gesteckt, dass der Soldat nach Fräulein Mizzi gefragt hatte.
»Ich kenne die Mizzi«, begann die Serviererin. Seit nunmehr sechs Jahren serviere sie hier Speisen und Getränke, mal im Saal, mal in der Stube, und im ersten Jahr immer zusammen mit der Mizzi. Vor fünf Jahren habe sie dann geheiratet, die Mizzi, fuhr sie fort, beim ersten Kind habe sie noch normal weitergearbeitet, beim zweiten Kind dann nur noch zwei, manchmal, wenn sehr viel zu tun gewesen sei, auch drei Tage. Mit dem dritten Kind habe die Mizzi einfach keine Zeit mehr gehabt.
»Bei mir hieß sie nie Mizzi, ich habe sie Pupperl genannt. Sie sah aus wie ein Käthe-Kruse-Pupperl, immer hübsch und immer lieb und hat immer gelächelt. Der falsche Hase kommt sofort«, sagte die Serviererin unvermittelt und eilte davon.
»Also mein Pupperl«, setzte sie ihre Geschichte fort, als sie mit dem falschen Hasen zurückkehrte und ihn vor Anton hinstellte und den Teller erst ein wenig in die eine, dann in die andere Richtung drehte, bis sie mit der Präsentation zufrieden war.
»Pupperl?«, wiederholte Anton fragend, »dein Pupperl?«, und trank den Rest des dünnen, kaum noch nach Bier schmeckenden Getränks, das er in der Zwischenzeit aus Enttäuschung über die blonde Serviererin, die in nichts ihrer schwarzhaarigen Vorgängerin glich, geleert hatte, um gleich ein neues zu bestellen. Dann griff er nach dem Besteck, schnitt hastig das rechteckige Stück des falschen Hasen in Quadrate und stopfte sich einen viel zu groß geratenen Bissen in den Mund.
Die Serviererin, die neben ihm stehen geblieben war, beobachtete ihn aufmerksam und fragte nun, ob es ihm schmecke. Erst als er nickte, er hatte den Mund noch voll, verschwand sie mit der leeren Maß.
»Mein Pupperl!«, sagte Anton leise vor sich hin, nachdem er den Bissen endlich hinuntergeschluckt hatte, wiederholte den Kosenamen mehrmals in Gedanken und sah schließlich tatsächlich das Fräulein Mizzi vor sich, und nun fühlte er sich trotz des falschen Hasen und seiner undefinierbaren Bestandteile, trotz des dünnen Biers und vor allem trotz der Abwesenheit von Fräulein Mizzi langsam heimelig werden in der Stube, ja, jetzt erwartete er die Rückkehr der blonden Serviererin, er wollte mehr von ihr über sein Pupperl erfahren.
Sie kehrte mit dem frisch gezapften, fast schaumlosen Dünnbier zurück, wünschte »an Guat’n«, fragte Anton nach seinem Namen und in welche Richtung sein Transport gehen würde, und schaute ihm dabei auf eine gewisse Weise in die Augen.
Die Serviererin hatte in den letzten Wochen vielen Soldaten falschen Hasen mit Kartoffeln und Krautsalat serviert und dazu ein paar Maß
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