Goldmacher (German Edition)
Neueingetroffenen von SS -Männern befohlen, sich getrennt in Reihen aufzustellen. Dann befahlen die SS -Männer ihnen, Haltung anzunehmen, und daraufhin hatten sie zu warten.
Nach zwei Stunden erschien ein Vertreter des Lagerkommandanten in Begleitung mehrerer ranghöherer SS -Männer zur Inspektion. Einer von den Begleitern rief nach der Inspektion der Reihen Friedrichs Nummer auf und befahl ihm, aus der Reihe herauszutreten.
Das ist das Ende, dachte Friedrich. Und obwohl er seit Langem auf das Ende hoffte, bäumte sich etwas in ihm auf. Da ist er wieder, dieser Wille, dachte Friedrich, der Lebenswille. Den hatte er die letzten Jahre beobachtet wie einen Feind, den es zu besiegen galt, und wenn er nicht zu besiegen war, zu überlisten. Wegen ihm, wegen diesem Feind lebte er noch immer, er hatte ihn immer wieder dazu gebracht weiterzumachen.
Das erste Mal war er ihm begegnet, als er sich in vollem Bewusstsein des Betrugs schuldig gemacht hatte. Auch wenn dieser Betrug im Vergleich zu all dem anderen, dessen er sich, wenn auch ohne sein Wissen, zuvor schuldig gemacht hatte, harmlos war. Vom Ausmaß dieser Schuld hatte Friedrich erstmals erfahren, als Lowicki ihn nach dem Zusammenbruch des gesamten Formelwerks ausführlich informierte, wofür das Geld der Anteilseigner, und es war eine sehr große Summe, eine viel größere, als sie Friedrich jemals für möglich gehalten hatte, verwendet worden wäre: für die Partei und ihre Ziele.
Das Geld würde helfen, Deutschland groß zu machen, hatte Lowicki gesagt, und in diesem großen Großdeutschland wäre für ihn und seinesgleichen, die Juden, kein Platz mehr.
Lowicki behauptete, einer seiner Urahnen habe mit dem Umzug von Frankfurt nach Augsburg seinen Glauben gewechselt. Aber nicht seine Rasse, fügte Lowicki mit tückischem Blick hinzu. Für ihn hatte er nicht nur einen, sondern gleich zwei todbringende Makel: Er war ein Goldmacher, der kein Gold machte, und ein Jude, der sich als Katholik ausgab.
In diesem Gespräch hatte Friedrich seinen Feind, den Lebenswillen, kennengelernt und mit ihm gekämpft, und er wurde besiegt: Er hatte sich zum ersten Mal bewusst für den Betrug entschieden.
Erst wollte Lowicki nicht glauben, dass es ihm doch noch gelungen sein sollte, Gold herzustellen. Doch dann hatte ein unabhängiger Prüfer in Berlin in der Probe, die Lowicki auf sein Drängen überprüfen ließ, tatsächlich Gold nachgewiesen. Nun hatte Lowicki ihn, der, wenn auch nicht offiziell, so doch faktisch sein Gefangener war, auf höheren Befehl hin nach Berlin begleitet, wo ihm ein Labor zur Verfügung gestellt wurde.
Tatsächlich konnten jetzt in seinen Proben immer wieder Goldspuren nachgewiesen werden. Nach einigen Wochen allerdings blieben sie dann wieder aus. Lowicki geduldete sich zwar noch ein paar weitere Wochen, aber Friedrichs Goldvorrat, die beiden goldenen Schreibfedern seines Füllfederhalters, war schnell aufgebraucht gewesen und mehr Gold hatte er einfach nicht besessen.
Eines Morgens wurde er ohne Vorankündigung von der Gestapo im Labor abgeholt. Die Gestapo brachte ihn zum Bahnhof Berlin-Heerstraße, wo er mit Männern, Frauen und Kindern jeden Alters in einen überfüllten Güterwaggon gezwungen wurde.
Friedrich wusste, was ihn am Ende dieser Reise erwarten würde, Lowicki hatte es ihm oft genug beschrieben, und er hatte auch aus diesem Wissen heraus während des unmenschlichen Transports beschlossen, dass er, wenn er seinen Bestimmungsort erreichen würde, krank sein musste, ansteckend krank, tuberkulosekrank. Er wusste ja aus Erfahrung, wie er als Tuberkulosekranker husten, wie er sich halten, wie er gehen musste.
Nach der Ankunft im Konzentrationslager wollte er bei der Selektion, wie Lowicki das Aufstellen in Reihen genannt hatte, husten, sich krümmen, sich dahinschleppen, um gleich als arbeitsuntauglich aussortiert und ermordet zu werden, so hatte Lowicki es ihm vorausgesagt. Aber der Feind, der Lebenswille, hatte sich aufgebäumt und ihn wieder besiegt, und er stand gerade und kräftig da wie ein Mann, der arbeiten konnte und wollte. So wurde er eine Nummer und arbeitete. Er vergaß über der Nummer seinen Namen und über der Arbeit im Lager und das Unvorstellbare, was er sah und was ihm selber widerfuhr, sein bisheriges Leben.
Im Konzentrationslager Sachsenhausen, seinem dritten Lager, trat Friedrich, trat die Nummer, die er geworden war, auf Befehl des SS -Mannes als Einziger aus der Reihe heraus. Statt des Genickschusses, den er
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