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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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Dünnbier. Sie waren alle jung gewesen wie dieser, halbe Kinder, wie sie immer sagte. Ihre Transporte gingen in der Regel vom Hauptbahnhof oder vom Ostbahnhof ab, entweder Richtung Süden nach Italien oder Richtung Osten nach Russland. Viele von diesen jungen Soldaten hatten nach ihrem Namen gefragt, und auch nach mehr, aber keiner nach Mizzi, nach ihrem Pupperl, die jetzt noch mehr Kinder hatte und einen Mann, wenn auch irgendwo an der Front, und keine Zeit mehr für sie, die keinen Mann und kein einziges Kind hatte und eigentlich nicht wusste, wem sie die Zeit, die sie zu verschenken hatte, schenken sollte. Nicht, dass sie Zeit hatte, nein, aber Zeit zu verschenken, Liebe, davon besaß sie genug. Schon gar für einen, der nach ihrem Pupperl gefragt hatte.
    Sein Name sei Anton und sein Transport ginge nach Russland, antwortete Anton der blonden Serviererin mit belegter Stimme. Nicht wegen Russland war sie belegt, in diesem Moment war Russland in weiter Ferne, unendlich weit, fast außerhalb der Zeit. Das verstand die Serviererin auf sehr einfache Weise, so, wie Anton es sich wünschte. Sie beugte sich leicht zu ihm hin und beschrieb ihm leise, wo und um wie viel Uhr er auf sie warten solle, sie habe dann Feierabend. Er werde dort sein, antwortete Anton ebenso leise. Er beendete seine Mahlzeit, trank das Bier, beglich seine Rechnung und gab der Serviererin ein großes Trinkgeld, was sie, errötend, zurückwies, es auf Antons Drängen dann annahm. Er verließ die Stube und setzte sich bis zum verabredeten Zeitpunkt nach vorn in die Schwemme.
    Als er später der blonden Serviererin leise in ihr Zimmer folgte, das sie, eine halbe Stunde Fußweg vom Weißen Bräuhaus entfernt, zur Untermiete bewohnte, bemerkte er, bevor er überhaupt etwas anderes von der Umgebung wahrnahm, und danach nahm er dann auch nichts anderes mehr wahr, das gerahmte Foto von Mizzi.
    Es hing zwischen einer kleinen Sammlung von gerahmten Fotografien über dem Sofa, doch alle anderen Fotografien übersah er, er sah nur sie. Und Mizzi sah ihn. Sie sah ihn an. So wie sie ihn damals angesehen hatte, als er ihre Hand, mit der sie durch sein Haar fuhr, festhalten musste, sie eigentlich auch nicht wieder loslassen wollte. So wie jetzt die Serviererin. Er umfasste sie. Sie sträubte sich. Sie wollte ihn zu ihrem Bett hinüberziehen, ihn dort empfangen. Aber er wich keinen Zentimeter vom Sofa, er wollte sie ansehen, die Mizzi, über den Körper der Serviererin hinweg. Er wollte mit Mizzi verbunden bleiben, während die Weichheit der Serviererin ihn aufnehmen würde. Mein Pupperl, hatte die Serviererin seine Mizzi genannt. Und er sprach es ihr vor, damit sie seine Mizzi so nennen würde. Aber sie sprach es ihm nicht nach, sie selber wünschte nun von ihm so genannt zu werden, und sie war glücklich darüber. Sie blühte auf unter ihm und Zorn stieg in ihm hoch. Nicht sie war sein Pupperl, es war das Fräulein Mizzi, das er begehrte, das er liebte. Er umfasste die Serviererin und warf sich mit ihr auf den Rücken. Sie lag jetzt auf ihm und er auf dem Sofa, und er blickte der Mizzi jetzt direkt ins Gesicht. Und während die Serviererin sich immer heftiger auf ihm bewegte, konnte er seiner Mizzi tief in die Augen sehen und zum ersten Mal gelang es ihm, seine Lust hinauszuzögern, sie zu verlängern, ja, fast wie ein Jongleur mit ihr zu spielen, schaute er der Mizzi nur tief genug in die Augen. Doch dann warf sich die Serviererin über ihn und bedeckte sein Gesicht mit nassen Küssen und durchbrach sein Jongleurspiel.
    Kurz darauf löste sich Anton, wenn auch dankbar, so doch eher hastig aus den Armen der fremden Frau. Sie wollte ihn bei sich behalten, die Abfahrt sei doch erst in einigen Stunden, sagte sie. Trotzdem verließ er nach einem letzten Blick auf Mizzi leise das Zimmer.
    Draußen auf der Straße atmete er die klare Luft tief ein und versuchte, sich zu orientieren. Er lauschte auf das Knirschen des Schnees unter seinen Stiefeln, und Russland, das kalte, das eiskalte, rückte näher.
    Nach einem langen Fußmarsch, unterwegs war er auf eine Streife getroffen, die seine Papiere kontrollierte und ihm dann den Weg beschrieb, stand er am Ostbahnhof. Plötzlich war Russland, war die Front, obwohl noch weit entfernt, doch schon näher als die Stadt München.
    Seine einzige Aufgabe in diesem Krieg würde es sein, ihn zu überleben, um danach mit der Methode des großen Thukydides von ihm zu berichten, denn nichts, davon war Anton überzeugt, entriss dem Teufel

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