Goldmacher (German Edition)
Laura die Mutter auf dem Nachhauseweg fragend an, bedrängte sie, ihr doch zu erklären, was mit ihr geschehen war, doch die Mutter schwieg.
So wurde es ihr zur Gewohnheit, wann immer es ihre Zeit erlaubte, in die nahe gelegene Kirche zu gehen, vor der Jungfrau Maria zu knien und stumm zu fragen, weshalb Gott ihr, der Kindlichen, die sich der Kindheit nahe und dem Erwachsensein noch fern fühlte, ein Kind schenkte, ihr ganz allein.
Je öfter sie nun zur Jungfrau sprach, desto vertrauter wurde sie mit ihr. Gab es da nicht eine Ähnlichkeit, fragte sie sich eines Tages, hatte die Jungfrau nicht auch blondes Haar, war sie nicht auch noch fast ein Mädchen? Hatte nicht auch Gott ihr, ihr ganz allein, ein Kind geschenkt?
Nun redete Laura nicht mehr nur stumm zur Jungfrau, sie begann, leise mit ihr zu sprechen.
Niemand hatte Laura erklärt, dass sie keine Jungfrau mehr war, weder der Arzt noch die Mutter. Und so wuchs in ihrer Vorstellung das Kind in ihr, wie es in der Jungfrau Maria gewachsen war, und je größer es wurde, umso vertraulicher sprach Laura nun mit der Jungfrau, so im Vertrauen wie mit niemandem sonst.
Wenige Wochen darauf entschied die Mutter, Laura müsse wegen der Brüder und der Nachbarn und nicht zuletzt auch wegen der Kriegsfronten, die sich langsam, jedoch scheinbar unaufhaltsam vom Süden Richtung Rom verschoben, die Stadt verlassen und mit dem Boot nach Sardinien zu ihrer Schwägerin fahren. Der Schwager und die Schwägerin wohnten in Olbia, wo die Familie der Schwägerin eine Bäckerei betrieb.
Laura nahm schweren Herzens Abschied, lebte sich dann aber schnell in ihrer neuen Umgebung ein, half der Tante im Bäckerladen, die Backwaren zu verkaufen, die vom Onkel und seinen beiden Gesellen in der angrenzenden familieneigenen Bäckerei hergestellt wurden, und setzte ihre vertrauten und vertraulichen Gespräche mit der Jungfrau ohne Unterbrechung in Olbia fort. Früh am Morgen, bevor der Laden öffnete, lief sie als Erstes in die Kirche und berichtete von den nächtlichen Ereignissen, etwa wenn sie durch kleine Sprünge in ihrem Bauch geweckt worden war.
Eines Nachts sah sie die Jungfrau Maria leibhaftig in ihrem Zimmer stehen, bis sie aufwachte und merkte, dass es nur ein Traum gewesen war. In diesem Traum war die Jungfrau durch die Wand in ihre Kammer getreten und vor ihrem Bett stehen geblieben und hatte nur ein einziges Wort gesagt: Francesco.
Francesco, flüsterte sie, nun hellwach, und wusste gleich, es war der Name ihres Sohnes. Ihr Herz machte einen Freudensprung. Francesco, murmelte Laura und strich über die bereits unübersehbare Wölbung ihres Leibes.
Am Morgen lief sie in die Kirche und dankte der Jungfrau überschwänglich, und sie wünschte sich, ja, sie gelobte es, Jungfrau zu bleiben wie sie.
Kurz darauf kam aber die Familie überein, Laura, bevor ihr gesegneter Umstand für alle noch deutlicher sichtbar sein würde, mit einem ihrer Vettern zu verheiraten. Dieser Vetter kämpfte mit den Partisanen in den Bergen, Laura würde ihn nur kurz während der Hochzeitszeremonie sehen. Unter dem Druck der Familie willigte Laura, nach Rücksprache mit der Jungfrau, wenn auch schweren Herzens ein.
Im September 1944 brachte sie dann ihren Sohn zur Welt. Sie nannte ihn Francesco. Ihr Mann war da bereits im Kampf gefallen. Sie würde ihrem Gelübde treu bleiben und wie die Jungfrau Maria eine jungfräuliche Mutter sein.
11.
Wegen der immer heftigeren Bombenangriffe auf München beschwor Alexandra ihren Mann Hubert, doch die Stadt zu verlassen und auf den Amselhof zu ziehen. Doch Hubert verließ sich auf die deutsche Flak-Abwehr. Seine Wohn- und Arbeitsstätte in München aufzugeben erschien ihm wie Flucht vor dem Feind, und das käme einer Desertion gleich, behauptete er.
»Wir werden siegen, weil wir siegen müssen«, stellte er fest, und Alexandra widersprach nicht, obwohl sie allein das tägliche Sirenengeheul in schreckliche Angst versetzte und der Anblick der zerstörten Häuser, das Wissen um die vielen getöteten Menschen, um die Verschütteten, die Verletzten, die Ausgebombten in ihr Hilflosigkeit und Panik auslösten. Sie nutzte jedes Wochenende, um auf den Amselhof zu fliehen, verlängerte es auch oft um einen oder um zwei Tage, erlaubte sich ihrem Mann zuliebe jedoch keine weitere Schwäche vor dem Feind anzuzeigen und kehrte immer wieder in die Stadt zurück.
Ihre beiden jüngeren Söhne, der Sepp und der Flori, leisteten dort Hilfsdienste, sie transportierten Verletzte.
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