Goldmacher (German Edition)
Sepp, der Ältere, hatte sich wie Franz freiwillig zur Luftwaffe gemeldet und wurde kurzfristig zum Flugabwehrhelfer ausgebildet.
Trotz der Eskalation des Krieges im eigenen Land reiste der Bankier Hubert Münzer immer wieder in geheimer Mission nach Berlin oder nach Wien. Alexandra erfuhr selten, wo genau sich ihr Mann aufhielt. Auch an jenem Wochenende wusste sie es nicht. Sie hatte sich entschlossen, den Montag, vielleicht auch noch den Dienstag draußen am See zu verbringen, es waren erste schöne Frühlingstage.
Sepp und Flori, die sie begleitet hatten, waren in einem der völlig überfüllten Züge bereits am Sonntagabend nach München zurückgekehrt. Der Krieg mache, hatte Sepp gesagt, keine Pause, auch nicht am Wochenende.
Am Morgen darauf hatte sie länger als sonst geschlafen und kleidete sich gerade erst an, als ein Geräusch sie dazu brachte, sich umzudrehen. Sie erschrak, als sie Hubert auf der Türschwelle zum Schlafzimmer stehen sah. Er schwankte leicht und hielt sich am Türrahmen fest.
Erschrocken ging sie auf ihn zu, und da schwankte plötzlich nicht nur er, auch der Türrahmen schien sich zu verschieben, und die Wände schienen sich zu bewegen, und dann schien das ganze Haus zu beben und auch der Boden sich zu heben und zu senken. Sie blieb stehen und griff nach einem Halt, fand die Lehne eines Stuhls und wartete auf die Explosion und darauf, dass die Decke, dass das ganze Haus einstürzte.
»Sie sind beide tot«, sagte Hubert, »beide.«
Irgendetwas in Alexandra beschloss, noch bevor sie überhaupt wirklich verstand, was geschehen war, den Schmerz nicht zu empfinden, er war so unfassbar groß und sie als Gefäß so unfassbar klein.
Da hörte schlagartig das Schwanken und Beben auf und auch Hubert schwankte nicht mehr, im Gegenteil, er stand da wie versteinert. Und auch Alexandra fühlte sich nun wie versteinert.
In der Nacht waren Bomben auf das Haus in München gefallen. Alle hatten überlebt, Sepp und Flori aber lagen unter den Trümmern begraben.
Zur selben Zeit lag Franz in der Nähe des Stadtzentrums von Florenz in der Aula einer Schule, die man als Lazarett eingerichtet hatte, auf einem Feldbett. Er litt unter schweren Verwundungen, ein Streifschuss hatte ihn am Kopf verletzt, ein Granatsplitter im rechten Oberschenkel eine stark eiternde Wunde verursacht, er hatte sich mehrere Rippen und das linke Bein gebrochen.
Seit Tagen schützte ihn hohes Fieber vor den lauten Schreien anderer Verwundeter, vor ihrem Stöhnen und ihren Flüchen. Sie kamen von weit her aus einer Unterwelt, in der er sich nicht aufhielt. Er dagegen war in einer Oberwelt aufgehoben, in der sich die Schreie, die Flüche und das Stöhnen um ihn herum in Lachen oder in Zurufe aus dem Strandbad am See verwandelten, an dem er in seiner Fieberfantasie gerade vorbeisegelte. Dort tummelten sich Freunde aus der Schule. Sie sprangen vom Sprungbrett ins Wasser oder liefen auf dem Steg auf und ab, neckten sich und schubsten die Mädchen, die darauf warteten, vom Steg. Eins der Mädchen winkte ihm zu. Es hatte dunkles krauses Haar und trug einen grün-weiß gestreiften Badeanzug. Er kannte das Mädchen, es war die Rosemarie Schmiedinger, das Mädchen aus dem Dorf oberhalb des Sees, das er im Strandbad geküsst hatte. Das sah er jetzt ganz deutlich, auch wenn er es noch nie in einem grün-weiß gestreiften Badeanzug gesehen hatte. Grün-weiß gestreift wie die Fensterläden des Amselhofs.
Dann war er mit der Rosi plötzlich in der Badehütte unten am See, und sie trug keinen Badeanzug und ließ sich von ihm umarmen und küssen, und er durfte ihre Brüste berühren, die so groß und rund waren, wie er sie sich immer vorgestellt hatte, wenn sie im Strandbad vom Steg ins Wasser gesprungen war. Er roch jetzt sogar ihren würzigen Geruch. Und da erfasste ihn ein enormer Sog, und er drängte sich an sie, der Sog war so stark, er würde mit ihr verschmelzen, seine Haut mit ihrer Haut, sein Körper mit ihrem Körper.
Aber dann packte ihn eine noch größere Kraft, und er war wieder auf dem Segelboot mitten auf dem See, und die Rosemarie stand wieder in dem grün-weiß gestreiften Badeanzug im Strandbad auf dem Steg und winkte. Er winkte zurück. Gleich würde er wieder bei ihr sein, er musste nur das Boot wenden. Unversehens fegte jedoch eine Sturmbö in die Segel und riss das Boot fort, hinaus und über den See hinweg. Er hatte jetzt alle Hände voll damit zu tun, es wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Während Franz die Segel
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