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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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raffte, es zumindest versuchte, und sich gleichzeitig duckte, um dem hin- und herschleudernden Großbaum auszuweichen, gaben es die beiden völlig erschöpften Lazaretthelfer auf, den im Fieberdelirium wild um sich Schlagenden vom Feldbett auf die Bahre zu rollen, sie nahmen einen anderen mit, der sich nicht wehrte. Franz blieb mit den Kameraden, die im Gegensatz zu ihm mehr tot als lebendig auf den Pritschen lagen, zurück, während die Lazaretttruppe in großer Eile aufbrach, der Feind stand unmittelbar vor der Stadt.
    Schon am nächsten Tag erreichten dann auch die ersten Soldaten der Alliierten Florenz und drangen in die Innenstadt vor. Jetzt nahm die Turnhalle die Verwundeten der Alliierten auf und Franz, noch immer im Fieberwahn, wurde als amerikanischer Kriegsgefangener registriert.

12.
    Anton gelang es, die russische Front und auch die russische Kriegsgefangenschaft im wahrsten Sinne des Wortes zu umgehen. Immer wieder zerbrach bei Aufbruchkommandos in Richtung Front seine Brille, weil einer der Kameraden, häufig sogar ein Vorgesetzter, sie in der allgemeinen Hektik übersehen und vom Tisch oder von wo auch immer hinuntergefegt oder sich auf sie gesetzt hatte oder auf sie getreten war. Einmal geriet sie in einer plötzlichen großen Hast sogar unter die Räder eines Fahrzeugs. Wie schwierig es für Anton dann war, mit dem Brillenersatz wieder Anschluss an seine Truppe zu finden, fiel in den Kriegswirren niemandem auf.
    Im Februar 1945 stieß er schließlich zu einer Einheit, die sich auf dem Rückzug befand. Antons Brille blieb von da an heil.
    Doch dann explodierte während des Rückzugs in seiner unmittelbaren Nähe eine Handgranate, und ein Splitter zerfetzte seinen Unterarm. Der Sanitäter im provisorischen Lazarett machte Anton wenig Hoffnung, der Arm müsse amputiert werden. Anton weigerte sich. Als die Rote Armee so weit vorgerückt war, dass das Lazarett geräumt werden musste, hing sein rechter Arm in einer Schlinge und schien gerettet.
    Mit der Aussicht auf Rettung seines Arms und auf das Kriegsende verfolgte Anton nun mehr denn je sein Ziel, wie sein Vorbild, der große Thukydides, von diesem Krieg, groß im Grauen, das er gesehen und von dem er noch weit Grauenvolleres, Unsagbareres gehört hatte, zu berichten. Er hatte während seines Kriegseinsatzes Beweise und Zeugenaussagen gesammelt. Notgedrungen hatte er alles auf die Weise, die ihm einst der Vater riet, aufgezeichnet: im Kopf. Es war zu gefährlich, das, was er sammelte, zu notieren. Zu Hause würde er es schriftlich zusammenfassen müssen, und es würde ein Bild entstehen, durch das dieses ganze Teufelswerk sichtbar entlarvt würde. Die Zeit war nahe.
    Als der Sanitätskonvoi auf dem Rückzug in der Scheune eines verlassenen Gehöfts übernachtete, kletterte Anton als Einziger auf den Heuboden und fand am Morgen, unter Stroh versteckt, ein heiles Fahrrad. Dieses Fahrrad erschien ihm als ein deutliches Zeichen, den Weg zurück in die Heimat allein zu wagen, und er ließ den Konvoi am nächsten Tag weiterziehen.
    Er fand noch Kleidung unter dem Stroh und wechselte seine sich bereits in Lumpen auflösende Uniform gegen eine Hose, eine Jacke und einen Wintermantel, alles viel zu groß. Da hörte er von vorbeiziehenden Flüchtlingen vom Ende des Krieges und seilte vorsichtig das Fahrrad an einem Strick vom Heuboden auf die Tenne ab, band danach den Strick um seine Hose und schloss sich dem Flüchtlingszug an.
    Über Wochen war er von der Lausitz aus mit dem Fahrrad unterwegs nach Hannover. Dabei sammelte er weiter Zeugenaussagen, beseelt von seiner Aufgabe, Bericht zu erstatten. Das listenreiche Überlebensspiel hatte einen Schalk in ihm ausgebildet, der selbst Abgestumpfteste aufmunterte und ihnen die Zunge löste.
    Manchem erschien Anton wie ein Kind, das Fragen stellte, die hin und wieder das Herz berührten. Im Schutz dieser Herzen, die er berührte, gelangte Anton seiner Heimatstadt Hannover langsam näher.

Kapitel II
    Die Geldmacher
    1946–1967

1.
    Wie ein Monolith ragte der einzige unversehrte Wohnblock aus der Steinhaufenwüste einer völlig von Bomben zerstörten Nachbarschaft. Stille umgab ihn inmitten der Schutthalden und Ruinen. Sie wurde nur selten von einem klapprigen Auto durchbrochen oder von einem altertümlichen Fuhrwerk, das geräuschvoll den vielen großen und kleinen Schlaglöchern im Pflaster der Straße auswich. Auf den weitgehend schuttfreien Gehwegen durchquerten Fußgänger in unförmigen Mänteln und dicken

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