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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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sich dort fast nur noch benutzte Teller samt Besteck stapelten.
    »Unser Sohn Anton wird eine Kostprobe seines schriftstellerischen Talents geben und seinen Prolog nach der Methode des großen Thukydides zu Gehör bringen«, verkündete Johann mit einigem Pathos und klatschte wieder mehrfach in die Hände.
    »Ruhe bitte!«, rief er und schob aus einer Nische den bereitgestellten Küchenschemel in den offenen Durchgang zwischen den beiden großen Zimmern, von denen das eine das Buffet beherbergte, das andere die aus allen Räumen zusammengetragenen und von den Nachbarn ausgeliehenen Stühle und Sessel. Die werten Gäste beeilten sich nun und nahmen auf ihnen Platz. Viele allerdings fanden keinen und bildeten um den Schemel herum einen offenen Zuhörerring. Anton, vom Flur kommend, musste sich hindurchdrängen, dann stieg er mit Schwung, seinen Text in der Hand, auf den Schemel. Die Gespräche verstummten, alle sahen zu ihm hinauf.
    Einen Augenblick lang hielt Anton seinen Kopf gesenkt. Johann, der kein Auge von ihm ließ, sah ihn plötzlich vor sich, seinen vor zwölf Jahren zehnjährigen Sohn, wie er mit gesenktem Kopf dastand, mitten im überfüllten Weißen Bräuhaus, und wie er losraste, und etwas in Johann rief jetzt wie damals: Halt!
    Anton hob den Kopf und sah den Vater an, als hätte er ihn gehört, und über sein Gesicht huschte das schalkhaft ironische Lächeln. Wie damals wird er ihn als Waffe einsetzen, seinen Kopf, doch anders als damals wird er jetzt mit den Mitteln der Vernunft kämpfen. Er nickte dem Vater zu und schaute dann in die Runde. Und bemerkte, wie ihm ganz unvernünftig das Herz bis zum Halse zu klopfen begann und wie sein Mund trocken wurde, während er die Angeschwärmte unter den vielen suchte und nicht fand.
    Köstliches wie das Buffet habe er nicht zu bieten, sagte er schnell, und er wolle auch nicht etwa eine Kostprobe seines schriftstellerischen Talents geben, da müsse er dem Vater widersprechen, denn er sei kein Schriftsteller, sondern Chronist. Und dann vergaß er alles: dass er auf einem Schemel stand, dass er nur für sie, die Angeschwärmte, seinen Text vortragen wollte, und vergaß auch die vielen kunstvollen Sprechweisen, die er eingeübt hatte. Noch scheu und mit belegter Stimme las er die ersten Worte und Sätze. Doch dann, im Schutz seiner Gedanken, trug er sie mit jenem inneren Drängen vor, mit dem er selber den Spuren gefolgt war, als er den Weg zu finden suchte, auf dem er ans Ziel kommen wollte, an dieses schon so lange abgesteckte und nun mit der Leidenschaft seiner zweiundzwanzig Jahre verfolgte Ziel, » Vom Untergang des Volkes der Dichter und Denker«, so der Titel seiner Chronik, zu berichten.
    Nun war er im Fluss, umkreiste im Prolog jenes Grundübel, das er schon früh als den Beginn dieses Untergangs ausgemacht hatte, das er mit Täuschung, Verrat, Lüge und Betrug in Parallelaktion mit einer unersättlicher Gier nach Macht und einem tyrannischen Willen zur Grausamkeit verband: die Hitler’sche Variante des deutschen Wunderglaubens.
    Mehrere protestierten, unter ihnen Onkel Alfred. Er aber belegte seine Behauptung mit dem Kauf von Anteilsscheinen an der industriellen Produktion von Gold, an die kluge und klügste Männer geglaubt hatten, die mit ihren Investitionen die Gründung der ersten Parteizeitung der Nazis ermöglicht hatten.
    »Einige sind einfach nur dumm gewesen!«, rief Johann erregt dazwischen und tippte mit dem Finger gegen die eigene Brust. Anton aber wollte nicht unterbrochen werden und setzte seine Beweisführung fort.
    Unglücklicherweise traten bei einigen Gästen recht bald schon Verdauungsbeschwerden auf. Möglichst unauffällig verließen sie ihre Plätze und tappten leise zur Toilette. Die ungewohnt reichhaltigen Speisen und ihre ungewohnte Menge verursachten bei den meisten kleinere oder auch größere Beschwerden, was dazu führte, dass die Toilette immer besetzt war. Und dann war sie verstopft. Die Kanalisation, ähnlich wie die Elektrizität und die Wasserversorgung, war bei Mehrbelastung des insgesamt fragilen Systems bereits öfter zusammengebrochen.
    Auch die Feiernden schienen ähnlich fragile Systeme geworden zu sein, sie vertrugen die lang entbehrten Leckereien einfach nicht mehr. Zudem hatte der ungewohnte Genuss von Wein und Kaffee, echtem Bohnenkaffee, den Onkel Alfred auf dem Schwarzmarkt getauscht hatte, nicht minder ungewohnt wie die Speisen, ihre Unverträglichkeit auch noch gesteigert.
    »Schluss! Ende! Aus!«, rief Anton

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