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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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geputzten Stufen hinunter. Er musste höllisch aufpassen, um nicht auszurutschen, die Hausbewohner überboten sich im Saubermachen, als könnten sie damit die Schuttberge vor der Haustür wegputzen. Auch auf der Straße mit ihren vielen Schlaglöchern musste er höllisch aufpassen, um nicht zu stürzen und sich damit die Aussicht auf bezahlte Arbeit zu nehmen.
    Im Aushang der englischen Kommandantur war eine Stelle als Hilfskraft für Schreibarbeiten in Deutsch annonciert, auf die Anton sich beworben hatte. Größere Kenntnisse in Englisch wurden nicht verlangt. Zu einem Vorstellungsgespräch und einer Einstellungsprüfung war er vor allem wohl deshalb eingeladen worden, weil er mit seinen zweiundzwanzig Jahren für einen eingefleischten Parteigänger einfach zu jung war und sich auf der Entnazifizierungsliste kein Familienmitglied befand. Mehr hatte er allerdings auch nicht zu bieten. Denn die von einer Hilfskraft für Schreibarbeiten verlangten Voraussetzungen erfüllte er keineswegs. Schreibmaschine schrieb er mit zwei Fingern, Stenografie beherrschte er überhaupt nicht. Er benutzte ein System selbst erfundener Kürzel, das ihm dann beim Entschlüsseln einiges Kopfzerbrechen bereitete. In der Bewerbung hatte er trotzdem angegeben, in beidem geübt zu sein. Er war einfach unter Druck. Er musste raus aus der Enge der elterlichen Wohnung, er wollte am Untergang schreiben, wie er sein Vorhaben nur noch abgekürzt nannte, und sich endlich auch von Katharinas Liebesverbot und ihrem Sündenfluch befreien.
    Zu Beginn hoffte Anton noch, er würde sich einhören, und verwickelte den angeblich Deutsch sprechenden Lieutenant in ein Gespräch über sein Fahrrad. Er hatte es gerade gegen erheblichen Widerstand durch die halbe Kommandantur getragen und sicherheitshalber auf dem Flur vor dem Zimmer, in dem er dem Lieutenant gegenübersaß, angekettet. Doch hätte er nicht selber den Gesprächsgegenstand gewählt, er hätte ihn erraten müssen, denn selbst das Wort Fahrrad blieb aus dem Mund des Lieutenants unverständlich. Wollte er die Prüfung bestehen, und er wollte sie unbedingt bestehen, musste er den Lieutenant, der ihn prüfen sollte, verstehen. Also korrigierte er ihn. Zumindest korrigierte er erst einmal das Wort Fahrrad, er sprach es ihm langsam vor.
    Der Lieutenant stutzte und sah ihn irritiert an, um sich dann erneut auf ganz unverständliche Weise auszudrücken.
    Einen Moment kämpfte Anton gegen die Versuchung an, dem Lieutenant das Wort Fahrrad noch langsamer vorzusprechen, vielleicht sogar so oft, bis der es auf unverrätselte Weise nachsprechen konnte, aber dann gewann sein Realitätssinn die Oberhand, er wollte schließlich diese Stelle bekommen und nicht den Unwillen des Lieutenants riskieren. Aber wie nur sollte er Worte und Sätze in die Maschine tippen, die er nicht verstand?
    Sein Prüfer nahm nun ein bedrucktes Blatt Papier in die Hand, nickte ihm zu und diktierte einen Text, den er von dem Papier ablas. Anton tippte, so schnell es ging. Da er kein Wort verstand, es nur hin und wieder erriet, tippte er eben alles, was er erriet. Am Ende des Schreibmaschinendiktats trat der Lieutenant hinter ihn, zog den Papierbogen aus der Maschine und legte ihn, ohne einen Blick darauf zu werfen, in eine schwarze Pappmappe, der er später das Stenografiediktat hinzufügte, bei dem Anton nicht anders verfuhr als bei dem Schreibmaschinendiktat.
    Der Lieutenant sagte etwas, was Anton als Aufforderung zu warten begriff, dann klopfte er an die Tür zu einem Nebenzimmer, verschwand darin, um kurz darauf zurückzukehren und sich schweigend über andere schwarze Pappmappen, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, zu beugen.
    Es war sehr still im Raum und Anton stellte sich vor, wie in diesem stillen Moment der Offizier oder der Oberst oder der Major, oder wer auch immer es sein mochte, in dessen Vorzimmer er wartete, seine beiden unlesbaren Probediktate in Händen hielt. So etwas wie ein Gefühl von Scham überfiel ihn. Wieso hatte er sich nur auf dieses würdelose Spiel eingelassen? Anton sprang auf, wollte es beenden, seine Bewerbung zurückziehen, diese ganze Prüfung, die er bestehen wollte, weil er sie bestehen musste, sausen lassen, da öffnete sich die Tür und ein noch junger Officer erschien im Türrahmen.
    »Herr Bluhm? Dann kommen Sie mal mit«, forderte er Anton auf. In deutscher Sprache und ohne jeden englischen Akzent. Anton war so aufgeregt, dass er es nicht bemerkte.
    »Kommen Sie«, forderte ihn der Officer

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