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Goldmacher (German Edition)

Goldmacher (German Edition)

Titel: Goldmacher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisela Stelly
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anschwärmen. Er fand sie im Verlobungszimmer, wo sie neben Judith und mit vielen anderen die Verlobungszeremonie, den Tausch der Ringe, verfolgte. Er drängte sich in ihre Nähe und schwärmte sie an.
    Nach Beendigung der Zeremonie, begleitet vom Gesang der Chilenischen Nachtigall, Onkel Alfred hatte ein Grammophon installiert und eine Schallplatte von Rosita Serrano aufgelegt, folgte er ihr beharrlich als Schatten. Als anschwärmender Schatten.
    Das war dem Vetter nicht entgangen, und er begann, Anton zu provozieren, nannte ihn schließlich mit einem herausfordernden Lächeln einen dümmlichen Wunderprediger. Aber anstatt ihn daraufhin zu ohrfeigen, was der Vetter offensichtlich erwartet hatte, denn er gefiel sich schon in der Abwehrstellung eines Boxers, drehte sich Anton zur Angeschwärmten um und, unter dem Einfluss eines dritten oder vierten Glases der enthemmenden Spätlese, während Rosita Serrano gerade » Roter Mohn« sang, umarmte und küsste er sie. Er wollte, weil er sich wiedergeküsst fand, dann gar nicht mehr von ihr lassen, was den Vetter wohl aus seiner Abwehrhaltung zu einem furiosen Angriff trieb. Es kam zu einer handfesten Rauferei.
    Anton setzte sich auf und blieb auf der Bettkante sitzen und schmeckte dem faden Geschmack im Mund nach. Hatte er sich übergeben? Er stellte sich auf seine Beine, er schwankte noch immer ein wenig und musste sich auf dem kurzen Weg vom Bett zum Fenster abstützen. Er öffnete es, beugte sich hinaus und sog gierig die frische Luft ein.
    Draußen schien die Sonne. Die aufragenden Restmauern der Nachbarruinen warfen lange Schatten auf die sie umgebenden Trümmerhaufen. Ein trostloser Anblick. Anton strich sein Haar zurück, schloss das Fenster wieder und bereitete sich auf den Spießrutenlauf bis zum Bad vor.
    Er hatte sie bereits im Halbschlaf vor der Tür rumoren gehört, die Schwestern und die Eltern, die die Wohnung aufräumten, das Geschirr wuschen, den Boden fegten und aufwischten. Die Männer der Schwestern halfen ebenfalls mit, auch der Verlobte, der gestern in die bereits völlig überbelegte Wohnung aufgenommen worden war wie zuvor die beiden anderen Schwäger. Anders als die Verheirateten durfte der Verlobte nicht das Bett mit seiner Zukünftigen teilen, das verbot die Mutter. Sie hielt unbeirrt an den Geboten und Verboten ihrer Kirche fest und verlangte von den Schwestern Keuschheit vor der Ehe. Auch über Anton wachte sie mit Luchsaugen.
    Gewiss wird Katharina wegen seines Rausches heute von ihm die Beichte verlangen, überlegte Anton. Er wird sich weigern, er will und kann nicht wieder zu einem unmündigen Kind schrumpfen. Vor einem Jahr noch sollte er Manns genug sein zu töten, wird er zu ihr sagen, während jetzt ein harmloser Kuss eine Sünde sein soll. Damit wird der Streit beginnen.
    Anton schaute auf den Wecker, es war neun Uhr. Um halb zehn war allgemeiner Aufbruch zur Kirche. Er zögerte, er könnte zurück ins Bett kriechen und sich krank stellen, Magenkrämpfe, Übelkeit vortäuschen. Sie würden es ihm als Folge seiner Trunkenheit bestimmt glauben. Doch der Andrang in seiner Blase hatte ihn schon im Schlaf gequält, ihn schließlich wach werden lassen, und jetzt war der Druck unerträglich. Aus dem Fenster pinkeln wie schon öfter aus Not, wenn das Bad blockiert war, und das war es durch die vielen Mitbewohner ständig, wagte er jetzt nicht. Die Nachbarn hatten ihn schon mehrfach beobachtet und sich beschwert. Er hatte es bisher geleugnet, aber nach dem gestrigen Abend würde ihm die Mutter nicht glauben, es würde Streit geben, also drückte er lieber die Klinke der Tür hinunter und trat auf den Flur hinaus.
    Schon stand Katharina vor ihm, mahnte ihn, sich zu beeilen, erklärte ihm auch gleich, dass er schwer gesündigt habe und sein Seelenheil eine Beichte erfordere. Da sei er ganz anderer Meinung, sagte er, verschwand im Badezimmer, verriegelte die Tür und schwor, sich eine Arbeit zu suchen und die Wohnung der Eltern zu verlassen, um sich Katharinas Aufsicht zu entziehen.
    Tatsächlich verließ Anton kurz darauf eines Morgens in einem hellgrauen Sommeranzug, der ihm zu groß war, darunter ein weißes Hemd, ebenfalls zu groß, aber mit Schuhen, die passten, die Wohnung und trat ins Treppenhaus, um sich für eine Stelle zu bewerben. Er löste das Schloss und schulterte sein zuvor am Geländer angekettetes Fahrrad, mit dem er von der Lausitz aus bis nach Hannover geradelt war, und balancierte es vorsichtig auf dem Rücken die blitzblank

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