Goldmacher (German Edition)
für einen Augenblick, bevor er mit leichtem Schwung in eine der unaufhaltsam an den Einstiegsöffnungen vorbeigleitenden Holzkabinen des Paternosters sprang, um sich in die Redaktionsräume im fünften Stock hinauftransportieren zu lassen.
Es galt, weder zu früh noch zu spät in die Kabine hinein- oder aus ihr herauszuspringen, ein verpatzter Ein- oder Ausstieg erschien Anton, ähnlich wie bei einem Text, geradezu schmerzhaft unelegant. Zudem ließ er die Kabine vibrieren oder brachte sie gar zum Schaukeln, was das etwas unangenehme Gefühl verstärkte, sich in einem instabilen Gefährt zu befinden. Besonders dann, wenn die Kabine zwei Fahrgäste gleichzeitig transportieren musste.
Seit dem gestrigen Morgen war ihm dieses eigentlich unangenehme Gefühl jedoch unversehens als angenehm in Erinnerung, was allein an der jungen Frau mit dem modischen Kurzhaarschnitt und dem leuchtend rot geschminkten Mund lag, die im ersten Stock vor dem Paternoster wartete.
Er hatte zuerst ihre Füße in den flachen, leuchtend roten Wildlederschuhen gesehen, dann die schwarze Hose, die sie trug, schließlich den blau und weiß geringelten Pulli darüber. Wie er hatte auch sie gezögert und war dann viel zu unentschlossen bei ihrem Sprung in die Kiste, wie sie gleich darauf die Paternosterkabine nennen sollte. Er hatte ihr schnell die Hand gereicht und sie mit einem Ruck hinaufgezogen. Durch den Schwung war die junge Frau dann aber gegen die Rückwand der Kabine geprallt, die in Bewegung geriet und vibrierte und ächzte.
Die junge Frau hatte geflucht und gemeint, der rechtzeitige Ausstieg fiele ihr noch schwerer als der rechtzeitige Einstieg, und gefragt, wer von ihnen beiden denn nun zuerst im fünften Stock die Kabine verlassen würde. Das hatte zu verwirrender Unentschlossenheit geführt, er und die junge Frau verpassten beide den Ausstieg und waren weiter hinauf in die Dunkelheit des Dachbodens transportiert worden.
Oben auf dem Dachboden würde die Kabine über ein riesiges Zahnrad auf die Abwärtsseite wechseln, hatte Anton gewusst, die junge Frau offenbar nicht. Als das Zahnrad-Ungetüm die Kabinenöffnung ausfüllte, hatte sie aufgeschrien, sich an ihn geklammert und ihr Gesicht in seinen Schal vergraben. Als müsste er sie tatsächlich schützen, hatte Anton seinen Arm um sie gelegt. Und mochte sich dann nicht mehr von ihr lösen, zumindest noch nicht im fünften Stock, wo er eigentlich die Kabine verlassen wollte. Im vierten Stock war es ihnen schließlich gemeinsam gelungen. Er hatte sie zum Mittagessen eingeladen und sich mit ihr in einem der Restaurants in der Nähe des Pressehauses verabredet.
Paula Riva, das sei ihr Künstlername, stellte sie sich dort dann vor, sie studiere an der Kunsthochschule Malerei und verdiene sich ihren Unterhalt bei der Frauenzeitschrift im dritten Stock mit Modezeichnungen. Bei Kartoffelsuppe mit Würstchen hatte sie weitererzählt, dass sie am nächsten Tag im Auftrag der Frauenzeitschrift in Berlin zur Modewoche die neueste Mode, den Dernier Cri des nächsten Jahres, wie sie belustigt sagte, zeichnerisch festhalten würde. Er hatte die Frische gespürt, die sie ausstrahlte, und ihre Lust auf Abenteuer. Sie sei verliebt in die Liebe, hatte sie ganz ernst behauptet, dann kurz nachgedacht und sich korrigiert, nein, nicht in die Liebe, ins Verliebtsein sei sie verliebt.
Vielleicht fahre ich morgen auch nach Berlin, sagte Anton später zu Leni. Im Zug mit Paula Riva durch die Zone, wie Paula die Deutsche Demokratische Republik genannt hatte. Leni hatte gefragt, wer denn bloß Paula Riva sei, und er hatte geantwortet, das wisse er auch noch nicht.
Anton sprang nun im fünften Stock mit einiger Eleganz aus der Kabine und durchquerte einen Vorraum, von dem ein langer Gang nach links und ein kürzerer nach rechts abzweigte. Er bog in den linken ein, an seinem Ende lag sein Zimmer. Er konnte es allerdings nur durch das Vorzimmer, in dem Leni residierte, betreten. Seinen Wachposten nannte er sie deshalb gelegentlich und fühlte sich durchaus in ihrem Schutz.
Leni hatte sich erst geweigert, den Umzug von Hannover nach Hamburg mitzumachen.
»Wenn du bleibst, bleibe ich auch«, hatte er daraufhin erklärt.
Obwohl Leni das nicht ganz ernst nahm, fühlte sie sich doch geschmeichelt, dabei hatte er tatsächlich selber lange mit dem Umzug gezögert. Eigentlich war es nämlich Hans-Ulrich, der auf einen Umzug in die größere, bedeutendere Stadt gedrängt hatte. Das würde die Auflage und Bedeutung
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