Goldmarie auf Wolke 7
nicht jeden rein«, grinste Guido und stellte ein Tablett mit vielen verschiedenen Köstlichkeiten auf den großen Holztisch.
»Und wo sind die anderen? Die können doch unmöglich alle in dieser Wohnung leben?« Ich war verwirrt.
»Welche anderen?«, fragte ein wunderhübsches Mädchen mit langen schwarzen Haaren, das wie aus dem Nichts in der Küche aufgetaucht war.
»Und das hier ist unsere Frauenquoten-Mitbewohnerin«, erklärte Sören: »Sarah Sandmann. Sarah, das ist Marie.« Als Sarah mir die Hand gab, kam ich ins Grübeln. Aus irgendeinem Grund kam sie mir bekannt vor. Aber woher? »Wir wohnen insgesamt auf vier Wohnungen verteilt«, erklärte Sarah und inspizierte den Inhalt des Tabletts. JamieTim schlug ihr spielerisch auf die Finger, als sie sich einen würzigen Nacho aus der Schüssel holte und in Guacamole dippte: »Für dich heute nur noch Miso-Suppe, Schätzchen, du hast morgen früh nämlich ein Shooting. Außerdem musst du bald ins Bett, sonst sieht dein Teint fahl aus.« Ein Shooting?
Sören musste meine Verwirrung bemerkt haben. »Keine Sorge, JamieTim ist nicht immer so streng. Aber Sarah ist Model und neigt zu gelegentlichen Naschattacken.«
»Weshalb ich mit Guido auch die Vereinbarung habe, dass er mir wortwörtlich auf die Finger klopft, wenn ich mal wieder aus dem Ruder laufe«, ergänzte Sarah und steckte sich seelenruhig einen weiteren Chip zwischen die blutroten, vollen Lippen. Da fiel es mir plötzlich wieder ein. »Du bist das Model der Heavenly-Nature-Kampagne und machst Werbung für den genialen Plume-Lippenstift. Die Farbe steht mir leider nicht, aber meine Freundin Julia schwört total drauf.«
Sarah lächelte. »Morgen ist der Dreh für die Frühjahrsfarbtöne. Helles Rosé und kräftiges Rot müssten eigentlich zu dir passen. Obwohl ich ja persönlich finde, dass man in unserem Alter eigentlich keinen Lippenstift braucht, sondern mit einfachem Gloss bestens bedient ist.« Ich nickte, denn das sah ich ganz genauso. Sören schaute von Sarah zu mir und wieder zurück. »Vielleicht sollten wir euch zwei alleine lassen, dann könnt ihr in aller Ruhe über Beauty-Themen fachsimpeln«, grinste er und machte sich ebenfalls über die Mais-Chips her. »Wenn du dich allerdings einen Moment von Sarah lösen kannst, würde ich dir gern mein Zimmer zeigen. Und natürlich den Rest der WG.« Ich trabte Sören neugierig hinterher. Am Ende des Rundgangs konnte ich mir nur mit Mühe die vielen Namen aller Mitbewohner merken. Trotzdem hatte ich den Eindruck, dass er hier wirklich mit netten, wenn auch sehr unterschiedlichen Typen zusammenwohnte. Seufzend dachte ich an mein eigenes Zuhause und an Lykkes missmutigen Gesichtsausdruck, als Sören mich abgeholt hatte. Im Gegensatz zu Kathrin konnte sie ihn ganz offensichtlich nicht leiden. Wenn Blicke töten könnten, hätte es für Sören schlecht ausgesehen. »Wohnst du denn gern auf dem Kiez?«, wollte Sören wissen und schaute mich neugierig aus hellbraunen Augen an, während ich sein Zimmer betrachtete. »Im Prinzip schon«, antwortete ich gedehnt und überlegte, ob ich ihn in mein Familienchaos einweihen sollte. Andererseits kannte ich ihn kaum, es gab also keinen Grund, ihm zu erzählen, wie sehr Lykke und Kathrin mich oft nervten und wie einsam ich mich dann fühlte. »Deine Schwester ist ja ein sehr spezieller Typ«, fuhr Sören fort. »Bitte entschuldige, wenn ich das so sage, aber ich finde, sie könnte ein bisschen mehr aus sich machen. Ich glaube, dass sie hinter ihrer finsteren Fassade eigentlich ganz hübsch ist. Hast du sie denn schon mal lächeln sehen?«
»So ein-, zweimal«, antwortete ich und dachte über seine Worte nach. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie Lykke auf Jungs wirkte, denn sie brachte nie jemanden mit nach Hause. Hätte ich nicht das Gedicht auf ihrem Schreibtisch gefunden, hätte ich geschworen, dass sie nicht das geringste Interesse daran hatte, sich zu verlieben. Eine Lykke, die jemanden anschmachtete? Unvorstellbar!
Andererseits, was wusste ich schon wirklich von ihr?
Schließlich ging sie mir ja bei jeder sich bietenden Gelegenheit aus dem Weg.
23. Marie Goldt
(Samstag, 26. November 2011)
Obwohl der Wecker brutal früh klingelte, sprang ich schwungvoll aus dem Bett. Morgen war der erste Advent und ich freute mich wie ein kleines Kind darauf, in der Mittagspause Tannenzweige und eine Amaryllis zu kaufen. Damit wollte ich am Abend mein Zimmer dekorieren. Weihnachten gehörte für mich zur
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