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Goldmarie auf Wolke 7

Goldmarie auf Wolke 7

Titel: Goldmarie auf Wolke 7 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriella Engelmann
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schönsten Zeit des Jahres. »Morgen, Paps«, begrüßte ich meinen Vater und küsste sein Porträt-Foto. »Ich hatte gestern einen so tollen Abend wie lange nicht mehr. Und wie geht’s dir da oben?« Bevor ich ins Bad ging, betrachtete ich das gerahmte Bild noch eine Weile liebevoll. An guten Tagen hatte ich auf diese Weise das Gefühl, ihn dicht bei mir zu haben. Dann tat es für einen Moment nicht mehr ganz so weh, ohne ihn leben zu müssen. Ein flüchtiger Gedanke an meine verschollene Mutter streifte mich, doch ich wischte ihn davon wie eine lästige Fliege. Ich hatte es schon vor Jahren aufgegeben, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, wo sie war, warum sie Papa und mich verlassen hatte und ob sie überhaupt noch lebte. Heute war heute und heute war ein guter Tag!
    Und das sollte auch so bleiben!
    Niki sah aus, als würde sie vor Neugier platzen, als ich die Tür zum Laden öffnete: »Wie war dein Treffen mit Sören?«
    Ich lächelte vielsagend, beschloss aber, sie noch ein bisschen auf die Folter zu spannen. »Wollten wir nicht gleich mit der Ablage anfangen?«, fragte ich grinsend und kramte die Kreditkarten- und EC-Belege aus der Schublade unter der Kasse hervor. »Nun sei doch nicht immer so brav und pflichtbewusst«, nölte Niki, zuckte aber zusammen, als Nives hinter ihr auftauchte und uns beiden einen guten Morgen wünschte. »Seid ihr bereit für den ersten langen Samstag im Weihnachtsgeschäft?«, fragte sie und stellte einen bunt gemischten Teller mit Weihnachtsgebäck auf den Verkaufstresen. »Mhm, Vanillekipferl«, schwärmte ich und schnappte mir eines der köstlich nach Butter und Haselnüssen duftenden Plätzchen.
    Nives lächelte, als sie sah, mit wie viel Genuss ich aß. »Backst du denn zusammen mit deiner Mutter Plätzchen oder lieber mit Freundinnen?« Genau dieselbe Frage hatte Jorinde Machandel mir vor Kurzem gestellt. Ich bekam augenblicklich einen dicken Kloß im Hals. »Meine Mutter ist leider … weg … also ich meine, sie hat uns verlassen, als ich drei Jahre alt war …«, stammelte ich, erstaunt über die Wucht, mit der mich diese Frage traf. Vorhin hatte ich mich doch noch ganz gut im Griff gehabt?! »Und dein Vater?«, fragte Nives. Ihr Gesicht hatte mittlerweile einen bekümmerten Ausdruck angenommen. Niki hüstelte und verkrümelte sich dann ans andere Ende des Ladens, um dort die Kissen und Decken der ausgestellten Musterbetten aufzuschütteln. »Mein Vater ist tot«, flüsterte ich und begann zu weinen. »Niki, bist du so lieb, hier einen Moment alleine die Stellung zu halten?«, rief Nives, nahm mich in den Arm und führte mich dann in ihren Sitzungsraum. Dort gab sie mir ein Taschentuch und legte eine kuschelige Decke um meine Schultern. »Weihnachten ist eine schwierige Zeit, wenn man einsam ist«, sagte sie leise. »Es tut mir sehr leid, dass ich unabsichtlich deinen wunden Punkt getroffen habe. Würde es dir denn guttun, mir ein bisschen was von dir und deinen Eltern zu erzählen?« Für den Bruchteil einer Sekunde schoben sich in meinem Kopf die Gesichter von Nives und Dr. Willibald Hahn übereinander. Verstört rieb ich mir die Augen, aber dann war dieses merkwürdige Doppelbild zum Glück auch schon wieder verschwunden. Ich schaute auf die Uhr. Traumzeit öffnete in zehn Minuten, das Geschäft würde innerhalb kürzester Zeit zum Bersten voll sein. »Nun mach dir mal keine Sorgen, Niki kommt schon ohne uns zurecht. Es gibt Dinge, die sind wichtiger als Umsatz!« Und schon musste ich wieder weinen. Nives war so lieb, so verständnisvoll. Also begann ich zu erzählen.
    Zuerst unterbrochen von vielen Schluchzern und dann immer flüssiger. Mit jedem ausgesprochenen Satz fühlte ich mich ein kleines Stück leichter.
    Ich erzählte, wie meine Mutter Roxy – an die ich mich nur sehr schwach erinnern konnte – eines Tages Knall auf Fall verschwunden war. Später, als ich alt genug war, um ihre Zeilen zu verstehen, hatte mir mein Vater den Brief vorgelesen, den sie uns beiden zum Abschied hinterlassen hatte. Darin erklärte sie ihr Verhalten damit, dass sie zutiefst unglücklich sei, sich ihrer Rolle als Partnerin und Mutter nicht gewachsen fühle und noch zu jung sei, um auf der Stelle zu treten. Sie bat darum, nicht nach ihr zu suchen und ihr diese Freiheit zu lassen. Der letzte Satz lautete: Wenn ihr beide mich liebt, lasst ihr mich gehen.
    »Hat dein Vater sich an ihre Bitte gehalten?«
    »Anfangs schon. Ich denke, dass er sie tatsächlich so sehr geliebt hat, dass er

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