Goldmarie auf Wolke 7
gern woanders …«
»Nnnein, alles gut. Ich war … ich war nur eben noch ganz in Gedanken bei der Dekoration.« Himmel hilf! Morgen ist die Andreasnacht. Ob der Zauber auch umgekehrt wirkt?
»Aber was sagt Niki denn dazu?«, hörte ich mich plötzlich fragen und hätte mich gleichzeitig ohrfeigen können. Entsprechend irritiert guckte Dylan. »Was hat Niki denn jetzt damit zu tun? Die war schon mal bei mir, das wäre also nichts Neues für sie. Also was ist? Soll ich Thailändisch für uns beide kochen?«
27. Marie Goldt
(Dienstag, 29. November 2011 – Andreasnacht)
»So, so, du hast heute also eine Verabredung mit einem jungen Mann, der dir offenbar gefällt, und anstatt einfach glücklich über diese Einladung zu sein, schlägst du dich nun mit Gewissensbissen herum.« Dr. Willibald Hahn hatte es auf den Punkt gebracht. Ich wusste immer noch nicht, ob ich mich auf nachher freuen oder wegen Niki schämen sollte. »Ein kluger Mann sagte einmal: Mein Gewissen ist der Zwilling meiner Vernunft! Meinst du nicht, Marie, dass es an der Zeit ist, diese Vernunft ausnahmsweise an den Nagel zu hängen und dich einfach mitten hinein ins Abenteuer zu stürzen, das wir Leben nennen? Deine Kollegin und dieser irische Wonderboy sind doch ganz offensichtlich kein Paar. Wo also ist dann dein Problem?« Ich grinste, denn Julia hatte heute Morgen in der Schule etwas ganz Ähnliches gesagt. Hatte mein Therapeut eben tatsächlich WONDERBOY gesagt?!?!
»Meinen Sie nicht, dass sie traurig ist, wenn sie erfährt, dass Dylan mich eingeladen hat?«, fragte ich, immer noch unsicher darüber, was richtig und was falsch war.
»Du hast ihr also noch nichts davon erzählt?«
Schluck …
Dr. Hahn nahm seine Brille ab, um sie mit einem blütenweißen Taschentuch zu putzen. Erst jetzt sah ich, wie viel größer seine Augen in Wirklichkeit waren. »Und wie willst du dich verhalten, wenn dieser Dylan wieder zu euch in den Laden kommt, weil er eine Sitzung bei deiner Chefin hat?«
Woher wusste Dr. Hahn, dass Dylan O’Noonan bei Nives in Behandlung war? ICH hatte es ihm jedenfalls nicht erzählt.
Ich bekam allerdings keine Chance, mir weiter den Kopf über diese Merkwürdigkeit zu zerbrechen, weil die Therapiesitzung gleich zu Ende war. Erstaunlich, wie schnell die Zeit hier immer verflog, wenn es so viel zu erzählen gab. Natürlich hatte ich zu Beginn der Stunde von meinem Zusammenbruch bei Nives und all den Erinnerungen an meine Eltern berichtet, die mich in letzter Zeit immer wieder überfluteten. »Ich werde es ihr am Donnerstag sagen, wenn ich wieder im Laden bin«, erklärte ich und stand auf. Puh, das war alles sehr anstrengend gewesen. Ich brauchte dringend eine erfrischende Dusche, bevor ich zu Dylan fuhr.
Punkt acht Uhr bog ich in die Falkenried-Terrassen ein, deren Bauweise an die Karolinen-Passage erinnerte. Inmitten der typisch hanseatischen Patriziervillen und prunkvollen Mehrfamilienhäuser lebten hier, soweit ich wusste, eher sozial benachteiligte Mieter. »Willkommen im anderen Teil dieses Schickimicki-Viertels«, grinste Dylan, nachdem ich geklingelt und eine Weile vor dem Häuschen gestanden hatte, das auch bestens auf die Reeperbahn gepasst hätte. Der Flur war so eng, dass ich gefährlich nah an Dylan vorbeigehen musste, um ins Wohnzimmer zu gelangen, wo er bereits für uns gedeckt hatte. Ich wusste nicht, was mir besser gefiel: dieser ganz besondere, männliche Duft, den Dylan ausströmte, oder der des thailändischen Essens. »Ich hoffe, du kannst mit Stäbchen umgehen und hast nichts dagegen, auf dem Boden zu sitzen«, lächelte Dylan verschmitzt und deutete auf zwei große Sitzkissen, die er auf den verkratzten Dielenbrettern drapiert hatte. »Was ist das denn für eine interessante Tischkonstruktion?«, wollte ich wissen, als ich mich vor ein schwarzes Ungetüm aus Plastik kniete. »Das ist der Koffer für meine Blitzanlage«, erklärte Dylan und legte zwei rote Servietten neben die Teller. »Die Wohnung ist sehr klein, also dachte ich: Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?«
»Bist du Fotograf oder so was?«, fragte ich. Meine Neugier auf ihn wurde von Minute zu Minute stärker. »Fotograf, Student, Lebenskünstler. Von allem etwas«, antwortete er und lächelte. »Klingt zwar bestimmt nach ein bisschen viel Programm für einen knapp Zwanzigjährigen, aber ich liebe mein Leben, so wie es ist.«
»Das ist ja auch die Hauptsache«, antwortete ich und merkte selbst, wie lahm das klang.
»Und du?
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