Goldmond
hatten. Wahrscheinlich war sie bald danach abgereist und erst vor Kurzem hier angekommen.
Es schien ihm nur konsequent, dass sie hierhergehörte.
»Du hast hergefunden. Komme morgen zum Aufgang der Roten Sonne wieder. Ich bringe dich zu den Heilern, die hier leben«, sagte Varashti, nickte Sinan noch einmal freundlich zu und ging.
Immer noch erstaunt, tastete Sinan vorsichtig nach dem daikon , das er an der Hüfte trug. Es schien ihm vermessen, dass er das, was der so verehrte Menschenschmied einst getan hatte, zu wiederholen versuchte. Er wollte mit der Rechten eine ungeduldige Bewegung vollziehen, doch das rief ihm ins Gedächtnis, warum er danach strebte. Es würde nichts anderes übrigbleiben, wenn er nicht zeit seines Lebens ein Krüppel bleiben wollte.
Er wollte weitergehen, aber er bemerkte, dass der Steinmetz, der das Bild geschaffen hatte, die Augen Vakarans so geformt und mit Bernstein und Onyx verfeinert hatte, dass sie dem Betrachter zu folgen schienen. Sinan gefiel die Vorstellung, dass Vakaran selbst ihn ansehe und seine Gedanken kenne. Er ging vor dem Bild in die Knie. Der Fall der Schatten und der wenigen Lichtquellen ließen es noch lebendiger erscheinen, und für einen Augenblick glaubte Sinan wieder, er höre aus der Ferne die Schläge eines Hammers auf dem Amboss.
Sinan sah zu dem auf, von dem manche sagten, er sei einer der Stammväter des Hauses Jatamar, das schließlich zum Fürstenhaus Solifes geworden war.
»Ich soll das Gleiche tun wie du«, sagte er nach einer Weileleise. »Und doch weiß ich nicht, ob es das Richtige ist. Zumal mein Werk schon fast fertig ist.«
Vakaran schien ihn direkt anzusehen, doch natürlich sagte das Bildnis nichts. Der Goldmond war weitergewandert. Nun waren es nur noch die Schwarzsteinbecken, die ein wenig Licht abgaben. Die Schatten der Reliefs wurden tiefer. So tief, dass Sinan glaubte, die Rauchkringel, die sich daraus lösten, seien lebendig. Sie schienen sich zu verdichten, schließlich tanzten sogar violette Glutpunkte im dichten Rauch, der roch, als habe man die Blütenblätter der Lilien, die oft auf Fisch- und Waldteichen wuchsen, verbrannt: schwer und doch feucht.
Leise Geräusche waren wie aus weiter Ferne zu hören. Sie waren nicht zu identifizieren. Die Halle warf auch den leisesten Laut als mehrfaches Echo zurück, sodass Sinan das Gefühl hatte, die Schöpfung selbst singe hier vor einem ihrer Erschaffer.
Er stand auf und verneigte sich vor dem Abbild Vakarans. Der Rauch neben dem Relief wirbelte und kräuselte sich in einem unfühlbaren Luftzug. Ein Schauder – vielleicht von der Nachtkälte – rief Sinan ins Gedächtnis, dass es schon spät war.
Er würde morgen erneut nach den Schmieden suchen, die hier im Tempel der Tiefe lebten. Vielleicht durfte er bleiben und konnte das Schwert beenden; es würden ohnehin weniger Kraft denn Gesänge und Magie nötig sein. Plötzlich wusste Sinan, dass er auch danach gerne hiergeblieben wäre.
Vielleicht kann ich Syth davon überzeugen, dass er mir das schenkt. Ich würde ihm mein Leben überlassen, hier leben wollen, wenn er mich heilt und wieder meine Arbeit tun lässt. Dann mag auch der Fürst von Norad mein Schwert haben.
Er schlug noch einmal das Zeichen des Schöpfergeistes vor der Brust, dann ging er.
Hinter seinem Rücken lächelte das Abbild des Syth, als gewähre es seinem Geschöpf die Bitte.
»Schläft er?«
Githalad wandte sich angesichts dieser Frage nicht um, sondern strich Mojisola über die schweißnasse und doch kalte Stirn – ein Anzeichen dafür, dass er zu lange unter der goldenen Magie der Elben gelitten hatte. »Er ist nach wie vor erschöpft«, sagte er zu Aedan.
Sein Gehilfe hatte den Kopf in die kleine Hütte gesteckt, in der nur wenig mehr Platz fand als der große lannon , den mehrere der menschlichen Gefangenen im Heerlager der Elben sich teilten. »Die Frauen haben noch etwas von dem Eintopf übrig. Wenn er eine Schüssel haben will, sollte er jetzt kommen.«
»Sorge besser dafür, dass etwas übrig bleibt, Vielfraß«, gab Githalad brummend zurück.
Aedan lachte auf und verschwand, um Githalads Ratschlag zu folgen.
Githalad schauderte bei dem Gedanken, dass die Königin Mojisola zu dieser Stunde in ihr Zelt gerufen hatte. Obwohl sie sich immer leutselig und freundlich gab, gebot ihm eine innere Stimme, sich von ihr fern zu halten. Sie hatte etwas an sich, das Githalad mit Tod verband. Er hatte lange überlegt, woran es liegen konnte – vielleicht daran,
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