Goldmond
schätzte, dass sie fünfzig oder mehr Klafter hoch gestiegen waren, doch immer noch waren die Äste des Qentars so dick, dass kleinere Büschel Königsfarn und Gewächse mit violetten und weißen Blüten darauf sprossen und Brücken und schmale Galerien umrahmten, die zu anderen Gebäuden führten.
Sie rahmten auch den Raum ein, in den man sie gebracht hatte und in dem nur eine der Seiten auf natürliche Weise mit dem Stamm des Qentars abgeschlossen war, in den man das Haus gebaut hatte. Man hatte den Stamm geglättet, mit Blattsilber belegt und mit einer Szene bemalt, die Sanara mittlerweile aus den Erzählungen der zweiten Rolle der Schriften kannte. Sie berichtete von den Gaben der Kinder des Vanar.
Sanara erkannte Vanar, der in einem der Baumväter saß. Er war umgeben von Raqorblüten, von Farn, von Resat, von Yondar und den Rohren des Süßholzgrases, aber auch von den Wolkendes Himmels. Ein Garten des Lebens. Sanara sah aber auch den Dunklen Mond, der direkt über dem Baumwipfel glomm, den Vanar bewohnte, und Ys, den Silbernen Mond, sowie fern am Horizont, hinter den schneebedeckten Gipfeln eines Bergkamms, die Strahlen der Purpursonne.
Der Raum selbst war ein karg eingerichteter Saal mit einem Durchmesser von mindestens zehn Klaftern. Ein paar Matten aus geflochtenen Resatfasern bedeckten den Boden aus poliertem Yondarholz. Es gab außer der prachtvoll gestalteten Wand und den Gebüschen und Gräsern, die das niedrige Geländer säumten, keinerlei Schmuck. Nur eine mit Blattgold belegte Statue des Vanar stand in einer Ecke, davor eine Schale mit goldfarbenem Sand, in der Räucherwerk brannte und den Duft von frischem Yondarharz und nassem Laub verbreitete.
Ein Mann – er machte einen älteren Eindruck selbst als Qamar, auch wenn Sanara das an nichts hätte festmachen können – kniete am anderen Ende des Raumes hinter einem flachen Tischchen aus poliertem Resatholz. Er trug über einem weißen, gewickelten Hemd eine silbrig durchwirkte jora aus grünem Leinen und ließ die dichten, rabenschwarzen Haare in der üblichen Weise lang und offen über den Rücken fallen. Ein kleiner Knoten saß auf seinem Scheitel. Der Mann las in aufrechter Haltung in einer Schriftrolle.
Er war jeder Zoll ein Herrscher und flößte Sanara Respekt ein. Sie wusste nicht, warum, aber er erweckte den Eindruck eines Mannes, der Macht besaß und damit umzugehen wusste und den sie noch weniger gern als jeden anderen Elb zum Feind gehabt hätte.
Sanara war sicher, dass er sie und ihren Gefährten bemerkt hatte, doch er sah nicht auf.
Sie blieb am Eingang stehen und ging langsam in die Knie. Ehrerbietig breitete sie die Arme aus und bemerkte im Augenwinkel überrascht, dass Telarion es ihr nicht gleichtat, obwohl er hinter ihr stehenblieb.
Erst jetzt sah der Mann auf und ließ seinen Blick auf Telarion ruhen, ehe er ihn zu Sanara gleiten ließ und bei ihr verharrte.
»Eine Shisani und ein Heiler meines Volkes«, sagte er. Seine Stimme war nicht so laut und nicht so scharf wie die Qamars, dennoch ließ sie Sanara einen Schauer über den Rücken rinnen.
»Nun, was führt dich zu mir, Weise? Man sagte mir, du hättest einen Auftrag und wolltest den Herrscher des Landes Norad sprechen.«
Mit einem Mal fühlte Sanara sich angesichts der Würde und der Macht dieses Fürsten klein und wertlos, geringer als das Gossenmädchen, ja, geringer als die Gefangene, die vor dem König und seinem Heermeister geflohen war. Sie hielt unwillkürlich die Luft an und rührte sich nicht.
Was hatte sie sagen wollen? Daron Fürst, ich wurde von Ys bestellt, das Siegel zu finden und brauche Eure Hilfe, die Welt zu retten.
Es verbot sich, in Anwesenheit des Elbenfürsten dort solche Albernheiten von sich zu geben.
Überrascht bemerkte Sanara, dass ihr Gefährte plötzlich die Initiative ergriff. Er ging an ihr vorbei auf den Tisch des Fürsten Damastan zu und kniete davor nieder. Seine Hände lagen ruhig auf den Oberschenkeln, erst dann verneigte er sich.
Es war die Begrüßung eines dem Fürsten Gleichgestellten, und Damastan nahm sie mit hochgezogenen Brauen zur Kenntnis.
»Es scheint dir nicht an Stolz zu mangeln, Heiler«, sagte er. Missbilligung klang in seiner Stimme. »Was glaubst du, wer du bist, dass du mir, deinem Fürsten, so begegnen kannst?«
Sanara war am Eingang sitzen geblieben. Als sie nun aufsah, erkannte sie, dass Telarion schluckte, bevor er weitersprach. Doch er begegnete dem Blick Damastans frei heraus.
»Ich bin der Sohn
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