Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goldmond

Goldmond

Titel: Goldmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
Vom Netzwerk:
Gesängen bestand, mit denen die Frauen ihre Kinder unterhielten. Auch die Lieder, die die Männer sangen und die wesentlich unanständiger waren, erklangen nicht. Stattdessen hörte Telarion die hier ungewohnten Klänge einer pathi und eine tiefe, klangvolle Stimme. Sie sang eine für menschliche Begriffe langsame und getragene Kadenz mit vielen Worten.
    Telarion blieb verblüfft stehen, als er erkannte, dass es eine menschliche Variante des elbischen Ayanna-Epos war, das vom ersten großen Krieg zwischen Elben und Menschen erzählte. Dieser Streit hatte in der Faringar-Schlacht einen blutigen Höhepunkt gefunden, der Schlacht, in der Telarat der Heiler erkannt hatte, wie sehr er mit diesem Krieg gegen das jüngere Volk gegen sein eigenes Gelübde verstoßen hatte.
    Telarion kannte die Geschichte, er selbst besaß das Schwert, das Telarat erhalten hatte. Dieser war nach der Schlacht von Faringar weinend über den Totenacker gegangen und hatte aus Trauer und Mitleid einen Schmied geheilt, dessen Arm er selbst während des Kampfs verletzt hatte.
    Als Kind, am Hof von Malebe, hatte man Telarion diese Geschichte mehr als einmal erzählt. Als er dann seine erste Weihe erhalten hatte, den Segen Vanars, hatte Dajaram ihm mit dieser Geschichte das daikon überreicht, das im Haus Norandar seit Telarat an den männlichen Nachkommen gegeben wurde, in dem die Macht des Lebens am stärksten war.
    Er selbst kannte das Ayanna-Epos nur gesprochen, doch der Musikant, der es nun hier, am Rand der Wüste, vortrug, kleidete die Worte in die Klänge seiner pathi , die er auf dem Schoß hielt, um sie den menschlichen Zuhörern angenehmer zu machen. Telarion schloss die Augen und sprach die Worte mit, die er auswendig kannte. Er erfreute sich daran, bis irgendetwas ihn aus dieser Freude aufschrecken ließ.
    Er kannte die Stimme. Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück in die Schatten, die von den Häusern auf den Platz geworfen wurden, den sie umgaben, und sah genauer auf den Sänger, der nachlässig an einer Mauer saß und sein halbrundes Zupfinstrument auf dem Schoß hielt.
    Es war Ronan, den man auch den Flötenspieler nannte.
    Telarion schloss die Augen und verwünschte das unselige Geschick, dass sich ausgerechnet dieser Musikant hierher verirrt hatte. Er wusste, der Älteste des Tempels der Quelle hatte Ronan nach Süden geschickt – was also machte dieser hier am Rand der Steppe von Entarat? Ronan hätte schon längst in Farokant oder Sirakand sein sollen, um dort den Auftrag seiner Ehrwürdigkeit, den Menschen dort zu helfen und ihnen Hoffnung zu bringen, auszuführen. Stattdessen war der Musikant nun hier. Zweifellos, weil er Sanara gesucht – und gefunden hatte.
    Das Ayanna-Lied näherte sich nun dem Ende. Die Dorfbewohner, besonders die Kinder, waren still geworden, als Ronan die Strophe des Lieds erreicht hatte, die beschrieb, wie Telarat sich zu Vakaran hinabbeugte und die Wunde heilte, die er geschlagen hatte.
    In diesem Moment wandte Ronan den Kopf und sah zu Telarion hin, der sich im Schneidersitz hinter ein paar Frauen niedergelassen hatte. Diese schienen erst jetzt, da der Sänger seinen Kopf wandte, zu bemerken, dass sich einer hinter ihnen befand, der Kälte und den trockenen Duft von Rauchwerk ausstrahlte. Beinahe furchtsam sahen sie ihn an.
    Ronan lächelte schwach, doch er verriet mit nichts, dass er Telarion erkannt hätte, und sang unbeirrt das Lied zu Ende. Schließlich ließ er die letzten Töne des Lieds und seiner pathi verhallen. Das Publikum war zuerst still, dann waren Rufe der Begeisterung zu hören und des Bedauerns darüber, dass das Lied zu Ende war. Bitten um ein neues wurden laut.
    Ronan verneigte sich auf drollig übertriebene Weise. »Ob ich noch mehr Geschichten über einen weiß, der Heiler ist?«, überlegte er, weil ein kleiner Junge, der atemlos vor ihm gesessen hatte, ihn darum anbettelte. »Warum fragst du?«
    »Ich bin vor drei Tagen von einem Itayabaum gefallen«, erzählte der Junge. »Ein Gast, der in den nächsten Tagen weiterreisen will, hat mich geheilt, so wie dieser König es mit dem Schmied tat«, berichtete er aufgeregt. »Es war ganz kalt, aber es war schön, und für kurze Zeit glaubte ich, über den Wolken zu fliegen! Könntest du daraus nicht ein Lied machen?«
    Ronan lachte und erhob sich. »Deine Mutter sieht schon böse zu dir herüber. Sicher erwartet sie, dass du dir die Hände wäschst, bevor du zum Essen nach Hause gehst. Frag mich morgen noch einmal. Vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher