Goldmond
deine Magie löschte, ließ deinen Körper am Leben. Denn ein Herr des Lebens kann den Körper nicht auf magische Weise töten. Nur die Seele, deine Magie. Doch wenn die Seele zu lange fort ist, kann sie nicht in den Körper zurück. Du musst gehen, wenn du leben willst.
Sinan schauderte. Es ist zu schwer.
Du bist aus Lehm gemacht und im Feuer gehärtet. Wer könnte den Schmerz ertragen, wenn nicht du?
Und wozu?, wollte Sinan erneut wissen.
Das Siegel der Welt muss gefunden und zerstört werden.
Das Siegel ist nur eine Legende! Wieso willst du, dass ich es finde?
Es ist nicht deine Aufgabe, es zu finden und zu zerstören. Aber du bist der Bruder der Dunkelmagierin, die dazu bestimmt ist, das zu tun.
Sinan schwieg. Eine Erinnerung tauchte auf wie Strandgut, das auf den Wellen getragen wurde und das er vom Strand aus beobachtete. Sanara, seine Schwester. Das zweite, jüngere Kind des Siwanon. Wie von fern drang Lachen an sein Ohr, ein kleines Mädchen mit roten Wangen und fliegenden, weizenblonden Locken rannte vom Strand her auf einen hochgewachsenen Mann zu, dessen Haare in Strähnen und verfilzte Locken geflochten und in schwarz, gelb und silbern umwickelte Zöpfe gebunden waren, und hielt diesem Mann eine Amdiri-Muschel entgegen. Es war der Mann, der ihm gezeigt hatte, wie man ein Langschwert schwang.
Plötzlich wusste Sinan, dass dieser Mann sein Vater war.
Ronan der Musikant, den er selbst bei seiner Arbeit in der Feste Bathkor kennengelernt hatte, war überzeugt davon gewesen, dass nur Sinans Schwester das Siegel der Welt finden könne. Das Siegel, das geschaffen war, um zu verhindern, dass der Schöpfergeist der Zerstörung sich der Welt bemächtigte und Vernichtung über alle brachte, die darauf lebten.
Sinan erinnerte sich. Kurz hatte auch er die Hoffnung gehabt, dass Sanara das Volk des Akusu befreien könnte, aber diese Hoffnung war grausam enttäuscht worden. Sanara hatte ihre Seele, ja, ihre Magie mit dem Zwilling des Elbenkönigs geteilt, der sich gerade die Welt unterwarf – und dem dies schon beinahe gelungen war. Dem Bruder des Königs, der versucht hatte, sich ihre Magie zu unterwerfen, der geholfen hatte, Siwanon zu töten und der Anführer und Kriegsherr des Heeres war, das die Menschen ausrottete und Verderben und Sklaverei über sie brachte, hatte Sanaras Seele zerrissen und ein Band geschaffen, das sie nicht mehr lösen konnte.
Sie hatte es zugelassen.
Auf einmal wusste Sinan, was ihn hergebracht hatte, hierher auf die Jenseitigen Ebenen, in die Leere, in die alle Seelen kamen, deren Körper gestorben war: Telarion Norandar, der Zwilling des Königs, der Fürst der Kälte und des Sturms, hatte ihn getötet.
Es ist zu spät , sagte Sinan entmutigt. Der Fürst der Elben hat sich Sanaras Seele unterworfen. Sie war die Hoffnung, doch sie schenkte ihre Kraft dem Bruder des Elbs, der uns versklavte.
Noch gibt es Hoffnung , beruhigte die Stimme seines Vaters. Sie klang tief in Sinans Innerem und war wie ein Gedanke, eine Idee, die nicht aus ihm selbst kam.
Doch das Siegel darf nicht in die falschen Hände geraten. Du musst zurück. Du musst deiner Schwester helfen. Sie braucht dich.
In Sinan begann es zu brennen. Es war, als sei ein Funke reinen, gelben Feuers in ihn geflogen und habe die Lava im Vulkan seiner Seele neu entfacht. Das Summen hob wieder an und wurde so stark, dass die Luft – gab es hier in der Leere so etwas? – vibrierte. Sinan war von Tönen umgeben, die ihn rot wie die Erde, gelb wie Feuer und samtschwarz wie Magie umwirbelten, dazwischen waren goldene Lichter wie von Sternen, Lichter, die trösteten und versprachen, die Kälte zu bannen, die ihn verletzte. Die Wirbel wurden dichter und dichter. Das Bild seines Vaters Siwanon, das die ganze Zeit neben ihm gestanden hatte, ohne dass er es wahrgenommen hatte, verschwand in diesen bunten Funken.
Nein , korrigierte sich Sinan in Gedanken und durch das Donnern der Lava hindurch, die nun wieder aus seinem Seelenvulkan quoll. Das Bild ist in mir.
Er sah auf. Das grüne Leuchten, das er beinahe vergessen hatte, war ihm jetzt ganz nah. Wieder glaubte er, kalte Finger an der Kehle zu spüren. Ein Eissturm fegte durch ihn hindurch und raubte ihm den Atem. Die kraftvoll geführte Klinge eines daikons hieb erbarmungslos in die Wurzel seiner Schmiedehand und hinterließ pochenden Schmerz.
Doch Sinan hieß den Schmerz willkommen. Kälte erfüllte ihn bis in die kleinste Faser. Es kribbelte und prickelte, als das Eis die
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