Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
Gedanken darüber.« Vincenzo hatte beschlossen, Wachter ebenfalls zu duzen. Er war nicht in den Fall involviert, sein Wissen hatte er bereits mit der Polizei geteilt. Da er den Naturkundler mochte, sah er keinen Grund mehr für Förmlichkeiten. »Viele Menschen tragen Geheimnisse mit sich herum, die sie mit niemandem teilen wollen. Oder können. Manchmal tut es mehr weh, etwas auszusprechen, als es für sich zu behalten.«
Wachtler nickte zustimmend. »Du hast eine gute Menschenkenntnis. Die wird dir in deinem Beruf sehr nützlich sein. Die wenigsten Menschen dürften ohne Verletzungen und tiefe Enttäuschungen durchs Leben kommen. Eine unbedarfte Kindheit, vielleicht, wenn man entsprechend aufwächst. Aber wenn man älter wird, passieren Dinge, die sich in der Seele festsetzen. So wie bei Alexander. So tief, dass er sogar freiwillig den Tod gewählt hat. Wenn ich an ihn denke, empfinde ich Trauer über den Verlust eines wertvollen Menschen und Freundes und zugleich Glück, weil er gefunden hat, wonach er all die Jahre vergeblich gesucht hat. Eigentlich verrückt, dass er nicht schon im vergangenen Juli, als er mit uns den Stollen entdeckt hat, auf die Idee kam, in der Schlucht nach Christel zu suchen. Wahrscheinlich war er zu sehr auf die Sache konzentriert und hat deshalb nicht ständig an sie gedacht.«
Vincenzo blickte in Richtung Alpenhauptkamm. »Jahrzehntelang hat er einsam da oben gelebt und nur auf diesen einen Moment gewartet. Wer weiß, was geschehen wäre, hätte er schon im Juli in eurem Beisein Christel gefunden. Vielleicht wäre es durch die Medien gegangen. Denk nur an den Ötzi. Selbst jetzt konnte ich nur dank meiner Kontakte verhindern, dass das Auftauchen von Christels Überresten nicht in der Öffentlichkeit breitgetreten wurde. Und wäre eure Geschichte über den Stollen in den Zeitungen erschienen, hätte es das Goldfieber und die Gier, die fünf Menschen das Leben gekostet hat, wahrscheinlich nie gegeben.«
Wachtler sah Vincenzo nachdenklich von der Seite an. »Je besser ich dich kennenlerne, umso mehr frage ich mich, ob du für diesen Beruf nicht manchmal zu sensibel bist.«
Vincenzo wiegte den Kopf hin und her. »Es ist wahr, mir gehen menschliche Schicksale näher als manch anderem Kollegen. Aber wenn ich Verbrechen aufkläre, tue ich etwas Gutes. Das ist es, was ich will. Ich wollte schon immer Polizist werden. Ich habe diese Entscheidung bisher nicht bereut, auch wenn ich niemals damit gerechnet hätte, so oft mit solch abscheulichen Taten konfrontiert zu werden. Und erst recht nicht, selbst zur Zielscheibe eines Irren zu werden. Aber das gehört nun mal zu meinem Beruf. Apropos Beruf, ich muss los, das Pflerschtal wartet.«
»Dann wünsche dir viel Erfolg.« Wachtler gab dem Commissario die Hand. »Hoffentlich schnappst du den wahren Täter. Melde dich bei mir, wenn es vorbei ist.«
»Versprochen.« Vincenzo stieg in seinen Alfa und fuhr davon. Das Gespräch mit Wachtler hatte ihm gutgetan. Er war voller Tatendrang. Ein aufregendes Wochenende stand bevor.
30
Hinteres Pflerschtal, Sonntag, 6. Mai
Ein Geräusch ließ Andreas Kofer aufschrecken. Trotz der Aufregung der letzten Tage und des Wissens, dass es das Koferopolis vielleicht niemals geben würde, hatte er erstaunlich gut geschlafen. Allerdings lag das nicht zuletzt an Innerhofer, der ihm als Einziger zu glauben schien, dass er mit den Morden nichts zu tun hatte. Er hatte ihm versprochen, ihm einen Fachanwalt zu besorgen, wenn es zu einer Verhandlung wegen des Goldschmuggels und seiner eigenen Funde kommen sollte. Immerhin war er der Entdecker der geheimen Kammer gewesen. Damit dürfte ihm auf jeden Fall ein Teil des Fundes zustehen. Zumindest theoretisch.
Kofer schaute auf den Wecker. Drei Uhr nachts. Er lauschte in die Dunkelheit. Nichts. Absolute Stille. Aber irgendetwas musste ihn geweckt haben. Eine Weile hielt er die Augen geschlossen und konzentrierte sich ganz auf seinen Hörsinn. Nichts. Gerade als er sich wieder hingelegt hatte und spürte, wie der Schlaf ihn übermannen wollte, war das Geräusch wieder da, ganz deutlich. Eine Art Kratzen, Scheuern. Leise, unterschwellig. Es schien von draußen zu kommen.
Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Sollte Bellini tatsächlich recht behalten? Kofer wusste, dass ihn der Plan des Commissario, zu dem Innerhofer ihm eindringlich geraten hatte, retten konnte. Dennoch hätte er nie gedacht, dass ein Mensch zu so etwas fähig war.
Als Kofer die Schlafzimmertür öffnete,
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