Goldrausch in Bozen - Kriminalroman
umgänglich waren und nur selten Anlass zum Schimpfen gaben. Was nicht zuletzt daran lag, dass sich Luigi und sie in der Erziehung der Kinder immer einig gewesen waren. Sie wollten ihnen vor allem eine intakte Familie bieten, aber genau das hatte ihr Ehemann zerstört.
Silvia hatte den Kamin angezündet und sich eine Kanne Tee gemacht. Mit angezogenen Beinen saß sie auf dem großen Ledersessel und starrte stundenlang in das prasselnde Feuer. Nur hin und wieder nippte sie an dem Tee, ohne ihn bewusst zu schmecken. Was Vincenzo Bellini ihr erzählte hatte, war ein schwerer Schock. All das, woran sie ihr Leben lang geglaubt hatte, was ihre Eltern ihr immer vorgelebt hatten, war wie ein Kartenhaus über ihr zusammengestürzt. Luigi war ihr Traummann gewesen. Er hatte wie ein gradliniger, einfacher Typ gewirkt, unbedingt Kinder gewollt und war ihnen von Anfang an ein guter, aufmerksamer Vater gewesen. Silvia und er hatten so gut wie nie Streit, allerdings führten sie auch keine tiefgründigen Gespräche, sprachen überhaupt nicht allzu viel miteinander. Warum auch? Meistens ging es in ihren Unterhaltungen um die Kinder, ihre Eltern oder seinen Beruf. Den gemeinsamen Alltag meisterten sie perfekt. Luigi war kein Macho, der sich nicht am Haushalt beteiligte. Alles schien zu passen. Auch der Sex, nicht besonders häufig, nicht atemberaubend leidenschaftlich, aber das war nach der Länge ihrer Beziehung auch nicht mehr zu erwarten. Trotzdem war Luigi ein guter Liebhaber. Umgekehrt hatte sie immer gedacht, dass er das genauso sah. Doch heute war sie eines Besseren belehrt worden. Luigi, der ihr vor Gott die Treue geschworen hatte, unterhielt schon jahrelang ein Verhältnis mit Christine Alber, seiner Chefin. Der Job als Küchenchef, der sich seinerzeit scheinbar als Segen erwiesen hatte, war im Nachhinein der Anfang vom Ende gewesen. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, hatte ihr der Commissario auch noch mitgeteilt, ihr Mann habe eins Komma fünf Millionen Euro durch illegale Geschäfte gemacht. Allein diese beiden Fehlverhalten waren schon hinreichende Gründe für eine Trennung. Doch dann waren auch noch Mordvorwürfe dazugekommen. Mord! Menschen waren zu Tode gekommen, weil eine Gruppe von Abenteurern Gold gefunden hatte, und Luigi war dabei gewesen.
Als ihr auf dem Ledersessel zum ersten Mal wirklich bewusst geworden war, dass Mord zur Debatte stand, das Schlimmste aller Verbrechen, und Luigi darin verwickelt sein könnte, hatte sie zum letzten Mal geweint. Es waren bittere Tränen gewesen, keine Tränen der Trauer, aber auch damit war es nun vorbei. Sie hatte ihren Entschluss gefasst. Sie würde Luigi die Gelegenheit zu einer Stellungnahme geben. Hätte er keine glaubwürdige Erklärung, würde sie sich von ihm trennen. Und zwar sofort, ohne Aussicht auf Versöhnung oder Rückkehr. Binnen einer Woche würde er das Haus räumen müssen. Anschließend hatte Silvia ihre Eltern angerufen, die schier vom Glauben abgefallen waren, als ihnen ihre Tochter erzählt hatte, was geschehen war. Sie hatte angekündigt, die Kinder für ein paar Tage aus der Schule zu nehmen und sich mit ihnen bei den Eltern einzuquartieren. So lange, bis Luigi verschwunden war. Denn sie war sich sicher, dass es so kommen würde. Alles andere wäre eine Illusion gewesen.
Mit den schweren Vorwürfen konfrontiert, hatte Luigi natürlich versucht, alles abzustreiten. »Das sind doch nur Hirngespinste der Bullen, glaubst du denen etwa mehr als mir?« Diese und ähnliche Ausflüchte hatte sie sich anhören müssen. Doch wenn er geglaubt hatte, sie damit milde zu stimmen, hatte er sich getäuscht. Das Gegenteil war der Fall. Als sie ihn mit ihrem endgültigen Entschluss konfrontiert hatte, war er weinend zusammengebrochen. Verrückterweise empfand sie ab diesem Moment nur noch Verachtung für ihn. Irgendwie würde es auch ohne Mann weitergehen.
Als sie mit gepackten Koffern im Hausflur stand, die Kinder hatte sie heute zum letzten Mal zur Schule gefahren, flehte er sie noch einmal an. Doch ihr Entschluss stand fest. »Ich habe eine Nacht darüber geschlafen. Das reicht. Du bist im wahrsten Sinne des Wortes eine Enttäuschung. Ich habe immer geglaubt, du wärst ein guter, ehrlicher Mensch, deswegen habe ich dich geheiratet. Nicht weil du so gut aussiehst. Aber diese Täuschung wurde mir genommen. Auch wenn es höllisch wehtut, kann ich nur sagen: Gott sei Dank! Du wirst das Haus bis Ende nächster Woche verlassen. Die Scheidung reiche ich
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